Sprechen Taten wirklich lauter als Worte?

Policy Fellow Johannes Hillje zieht bei „ntv“ nach einem Jahr Bilanz über die Kommunikation des Kanzlers.

Olaf Scholz tritt oft als Kanzler weniger Worte auf. Eine effektive Kommunikationsstrategie, oder doch eher ein Kritikpunkt? Policy Fellow Johannes Hillje zieht Fazit nach einem Jahr Kanzlerkommunikation.

Zu den obligatorischen Jahresrückblicken gesellt sich in diesem Dezember eine weitere Gattung der Bilanzierung: das Erstjahres-Zeugnis der Bundesregierung. Die Bewertungen vom Spielfeldrand fallen mal positiver, mal negativer aus. In einem Punkt scheint aber Konsens zu herrschen: Der Kanzler habe ein Kommunikationsproblem. Begründung: Scholz rede zu selten, spreche zu eintönig und erkläre zu wenig.

Die Kritik an seiner Kommunikation kennt Scholz aus seinem ersten Amt als Chef einer Regierung. Zwischen 2011 und 2018 war er in Hamburg Erster Bürgermeister. Die Kommentare von damals lesen sich wortwörtlich wie die heutigen: „Er will nicht begeistern, er will ordentlich regieren“, schrieb die „Hamburger Morgenpost“ wenige Monate nachdem Scholz das Hamburger Rathaus bezogen hatte. Er regierte dort noch sieben weitere Jahre, bis er zum Bundesfinanzminister und Vizekanzler aufstieg.

Also wird Scholz dieser Tage womöglich denken: Läuft alles nach Plan. Zumal so manche Nörgelei über seine Kommunikation eher mediale Stereotypen statt tatsächliche Sachverhalte abbildet. Da wäre zum einen der Mythos, Scholz kommuniziere zu wenig. Kommunikationsärmere Phasen sind für einen Kanzler keine Besonderheit, in der Jahresgesamtschau war Scholz öffentlich jedoch sehr präsent: Fünf abgedruckte Gastbeiträge, Bürgerdialoge in Lübeck, Essen, Magdeburg und Gifhorn, zig Interviews in regionalen und überregionalen Zeitungen, sechzehn Folgen seines Videopodcasts und viel Fernsehpräsenz, von längeren Interviews bis hin zum Überraschungsauftritt bei „Joko und Klaas“. Die Auster, zu der die FAZ den Kanzler einst erklärte, ist Scholz wahrlich nicht.

Scholz will „durch Taten“ kommunizieren

Zum anderen wird häufig an Scholz‘ Art zu reden rumgemäkelt. Dröge, eintönig und emotionslos käme das Gros seiner Reden und Statements rüber. Diese Vorwürfe stehen nicht selten im Widerspruch zur allseits erhobenen Forderung nach Authentizität. Mangelnde Echtheit kann man dem Kanzler sicher nicht unterstellen. Rhetorisch aus ihm einen Macron machen zu wollen, wäre eine schlechte Idee.

Scholz kann zwar journalistische Bedürfnisse nach Pathos und Pointen nur selten erfüllen, den gesellschaftlichen Wunsch nach Beständigkeit und Ruhe in unbeständigen und unruhigen Zeiten aber umso mehr. Als im Februar die ersten Bomben auf die Ukraine fielen, versicherte er den verunsicherten Deutschen glaubhaft, alles für eine Vermeidung einer Eskalation des Krieges in Richtung Westen zu tun. Und im Gegensatz zu anderen Kabinettsmitgliedern hat Scholz dem mittlerweile ausgebliebenen „heißen Herbst“ niemals das Wort geredet. Was manche als „zaudern und zögern“ abwerten, könnten andere als „bedacht und besonnen“ wertschätzen. 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler sagten bei der Bundestagswahl, dass Olaf Scholz das Land gut durch Krisen führen könne. Der heutige Kanzler weiß, dass er nicht trotz, sondern wegen seiner Langweiligkeit gewählt wurde. Für viele Menschen ist diese Eigenschaft das Versprechen auf Berechenbarkeit. Die abgewetzte Aktentasche ist des Kanzlers passgenaues „Signature Accessoire“.

All diese Punkte verstellen den Blick auf die tatsächlichen Probleme der Kanzlerkommunikation. Bezeichnenderweise war es Scholz persönlich, der das fundamentale Missverständnis über politische Kommunikation, dem er selbst aufsitzt, offenlegte: „Die Kommunikation der Regierung erfolgt durch Taten“, zitierte ihn jüngst der „Tagesspiegel“. In seinen Reden führt dieses Mantra häufig zu einer Aneinanderreihung von Maßnahmen, die seine Regierung veranlasst hat. Somit lässt er genau genommen auch nicht die Taten für sich sprechen, sondern er spricht die Taten aus – mehr aber auch nicht.

Taten sprechen nicht für sich

Die typische Kanzlerkommunikation besteht aus genau aus zwei Elementen: Problem und Lösung. Damit kann man zwar über einen Krisenwinter kommen, womöglich aber nicht in eine zweite Amtsperiode. Denn diese Art der Kanzlerkommunikation sieht sich im öffentlichen Wettbewerb um Deutungshoheit mit mindestens zwei Herausforderungen konfrontiert: Erstens handelt es sich um eine Kommunikation „von hinten“. Genauso wie Scholz gerne „von hinten“ regiert, also Grüne und FDP erstmal öffentlich vorpreschen lässt, um später eine gemeinsame Linie herbeizumoderieren, kommuniziert er auch zeitlich nachgelagert. Am deutlichsten schadete ihm dieser Ansatz beim Thema der Waffenlieferungen an die Ukraine. Lange verheimlichte das Kanzleramt Menge und Art des gelieferten Materials. Als die Spekulation, dass Deutschland der Ukraine viel zu wenig Waffen liefere, längst zur gängigen Lesart geworden war, stellte man eine trockene Liste der Lieferungen auf die Webseite der Bundesregierung. Wieder sollten die Taten für sich sprechen. Taten sie aber nicht, weshalb sich bis heute der Vorwurf, dass Deutschland kaum etwas liefere, im In- wie im Ausland hartnäckig hält. Dieses Bild hat sich der Kanzler selbst eingebrockt: Wer meint, die Politikherstellung könne die Politikdarstellung ersetzen, hat die Legitimierungsfunktion politischer Kommunikation nicht verstanden – oder schert sich darum nicht.

Der Mangel an kommunikativer Vorhand wird auch deshalb zunehmend zum Problem der Ampel, weil CDU und CSU in der Opposition wieder kampagnenfähig geworden sind. Zwar ist der zunehmende Einsatz populistischer Stilmittel durch die Union höchst fragwürdig, effektiv sind ihre Kampagnen mit Blick auf die öffentliche Meinung bei Atomkraft und Bürgergeld aber durchaus gewesen. Wochen bevor der Vermittlungsausschuss im Bundesrat zum Bürgergeld seine Arbeit aufnahm, hatte die Union die Deutung durchgesetzt, dass sich mit dem Ampelvorschlag Leistung angeblich nicht mehr lohne. Friedrich Merz konnte wochenlang ohne Widerspruch des Kanzlers gegen dieses zentrale SPD-Projekt poltern. Nötig für die Deutungshoheit der Regierung wäre gewesen, lange vor der Kampagne der Opposition eine eigene Erzählung zu etablieren, die weit über den Topos „Überwindung von Hartz IV“ hätte hinausgehen müssen.

Zweitens wird der Ansatz „Taten als Worte“ langfristig nicht tragen, weil Hoffnung ein Gefühl ist, das sich auf die Zukunft richtet. Scholz vermag es zu vermitteln, dass wir einigermaßen durch diesen Winter kommen werden. Wie wir aber eine Zukunft ansteuern können, in der wir uns nicht mehr allein von Krise zu Krise hangeln, enthält seine Ansprache nicht. Eine Umfrage des Berliner Think Tanks „Das Progressive Zentrum“ hat dazu in dieser Woche einen interessanten Befund geliefert: Der Begriff, mit dem die Deutschen die Ampel-Regierung am ehesten verbinden, lautet: Zeitenwende. Begriffe wie Fortschritt, Freiheit oder Respekt wurden jeweils nur von weniger als fünf Prozent der Befragten ausgewählt. Bezeichnend ist das für die Kanzlerkommunikation deshalb, weil „Zeitenwende“ ein diagnostischer Begriff ist. Er benennt die Ausgangslage, beschreibt aber nicht die Zukunft. Der einstige Fortschritts- und Modernisierungsgeist der Ampel wirkt nun wie eine Geschichte aus der Vergangenheit.

Bilder, Geschichten und Perspektive fehlen

Scholz redet von den Taten der Ampel, erzählt aber ihre Politik nicht. Es fehlen die Bilder und Geschichten. Und die Perspektive. Eine Erzählung integriert kurzfristige Maßnahmen in einen längerfristigen Bedeutungsrahmen, sie stiftet Sinn und Orientierung. Damit kann eine Beziehung zwischen Regierung und Menschen geschaffen werden. Politisch ist der Plan ja definiert: Deutschland wird zum klimaneutralen Industrieland, schützt dadurch die menschlichen Lebens- und Freiheitsgrundlagen, stärkt seine Unabhängigkeit und Sicherheit, ermöglicht Wohlstand für Kinder und Enkelkinder. Ein großes Versprechen, das aber deshalb so attraktiv ist, weil es glaubwürdige Antworten auf die heutigen, überall spürbaren Probleme bei der Energieversorgung, Preisstabilität und allgemeinen Krisenanfälligkeit gibt.

Die Umsetzung dieses Plans gilt es natürlich nicht zu individualisieren, aber die Regierung muss die Menschen in dieses Projekt integrieren. Bei Scholz hat man hingegen allzu oft das Gefühl: Er spricht zwar zu den Menschen, aber nicht mit ihnen. Sie würden schon verstehen, wenn sich erst die Wirkung seiner Taten zeigen, die er ihnen zuvor aufgelistet hat. Doch in einer Zeit, in der nicht nur die Problemstellungen, sondern auch die politischen Antworten komplex sind, kann sich ein Kanzler nicht allein auf die Macht des Handelns verlassen. Er braucht auch die Macht der Worte. Und die Kraft einer überzeugenden Erzählung. „Kanzler der Klimaneutralität“ könnte die Erzählung lauten – denn es braucht heute mehr als nur einen Krisenmanager.

Hier gelangen Sie zur Webseite von „ntv“, wo der Text am 07.12.2022 erschienen ist.

Autor

Dr. Johannes Hillje ist Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Er berät Institutionen, Parteien, Politiker, Unternehmen und NGOs. Zur Europawahl 2014 arbeitete er als Wahlkampfmanager der Europäischen Grünen Partei. Zuvor war er im Kommunikationsbereich der UN in New York und in der heute.de-Redaktion des ZDF tätig.
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