Am Ende dieser denkwürdigen Woche lautet die Hoffnungsformel der neuen schwarz-roten Koalition „heilsamer Schock“. Das Stabilitätsversprechen ist zunächst beschädigt, die Herausforderungen noch einmal gewachsen und die Vertrauensbasis der neuen Regierung weiter geschrumpft. Nach innen mag der gemeinsame Blick in den Abgrund disziplinierend wirken, allein mit Gefolgschaft wird aber keine Heilung gelingen. Die Lehre nicht nur aus dieser Woche, mindestens aus den letzten Monaten, müsste doch lauten: Vertrauen lässt sich nicht verordnen – ganz im Gegenteil, Vertrauen braucht Vermittlung. Nicht nur nach innen, vor allem nach außen.
Wie also den öffentlichen Misstrauensvorschuss abbauen? Klar, schnell ins Handeln kommen, Projekte auf den Weg bringen, den Menschen etwas Handfestes vorlegen. Kaum ein Verb nehmen die Neuregierenden momentan häufiger in den Mund als „liefern“. Dass der „Lieferismus“ als politischer Legitimations- und Vertrauensansatz zu kurz greifen könnte, wird später noch Thema sein. An dieser Stelle nur so viel: Vertrauen ist eine Emotion, womöglich die wichtigste der Demokratie. Das heißt: Liefern ohne Leidenschaft kann scheitern. Wer führen will, muss sich auch einfühlen.
Ein solcher Appell mag in deutschen Ohren fremd, gar irrational klingen. Doch Emotionalisierung gehört zu jenen Elementen der radikal-populistischen Erfolgsstrategie, denen die moderaten Kräfte bislang am wenigsten entgegenzusetzen haben – teils aufgrund historisch-aufklärerischer Zurückhaltung, teils aufgrund praktischer Emotionalisierungsunfähigkeit. Eine historische Lehre müsste allerdings auch sein, dass man in einer Demokratie die Emotionen niemals den Demokratiefeinden überlassen darf. Nicht zuletzt scheiterte der letzte Kanzler auch an seiner regierenden Regungslosigkeit. Deshalb durfte man aufhorchen als Friedrich Merz vor drei Wochen bei Caren Miosga sagte: „Ich kann auch Emotionen“. Er habe sich für seine Kanzlerschaft vorgenommen, „Menschen zu begeistern“, „Pathos und auch mal das gesunde Nationalbewusstsein zu zeigen“.
Vielversprechend begonnen – bis zum perfekten Fehlstart
Allerdings bleiben die emotionspolitischen Signale dieser neuen Regierung bislang höchst widersprüchlich. Der betont nüchterne Titel des Koalitionsvertrags, „Verantwortung für Deutschland“, hat kaum Begeisterungspotenzial. Beim kleinen Parteitag der CDU sprach Merz abschätzig über andere Koalitionen, die sich über einen „verklärten Blick auf ein Projekt“ definiert hätten. Der Verweis auf die Ampelregierung liegt zwar nahe, doch deren gescheiterte kommunikative Versuche war wohl auch Ausdruck der insgesamt unterentwickelten demokratischen Emotionskultur der Bundesrepublik.
Union und SPD haben, lange vor dem perfekten Fehlstart in dieser Woche, äußerst verheißungsvoll ihre Zusammenarbeit begonnen. Die Entscheidung für hunderte Milliarden zusätzlicher Investitionen in Sicherheit, Infrastruktur und Klimaneutralität war ein historischer Schritt. Insbesondere das Sondervermögen Infrastruktur birgt ein bislang ungenutztes Potenzial für ein Zuversicht ausstrahlendes Signum dieser Koalition. Trotz der Kritik an Merzens „Wortbruch”, unterstützt auch eine Mehrheit der Unionswähler:innen diese Investitionen. Gesprochen wurde aber wieder einmal mehr über das Mittel (sehr viel Geld) und weniger über den Zweck (ein saniertes Land) dieses großen Projekts.
Politische Trilogie für die Hoffnung
Wie aus dem Handeln der Regierung Hoffnung bei den Menschen entstehen kann, erfährt man in der sozialpsychologischen Hoffnungsforschung. Tatsächlich ist auch Hoffnung so etwas wie ein Handwerk. Mindestens drei Bausteine sind dafür wichtig: erstens ein Zielbild, das beschreibt, wohin man das Land führen will. Zielbild ist dabei buchstäblich gemeint, denn die bildliche Vorstellung entsteht im limbischen System des Gehirns, das auch für Emotionen zuständig ist. Dank der Milliarden für die Infrastruktur, die die Koalition zur Verfügung hat, ließe sich ja durchaus eine lebensweltliche Skizze anfertigen: Wie viele Kitas und Schulen sollen bis wann saniert werden? Wie viele Kilometer Schiene verlegt, Brücken repariert und Grünflächen angelegt werden?
Zweitens braucht es einen plausiblen Umsetzungsplan, der die Erreichung des Ziels machbar erscheinen lässt. Wie wäre es mit einer Strategie „Lebenswerte Heimat 2030″, in der zusammen mit Ländern und Kommunen konkrete Schritte definiert werden?
Und drittens sollten Menschen zu Subjekten des Wandels gemacht werden, womit wir noch einmal zur “Politik des Lieferns” zurückkommen müssen: Zuversicht entsteht durch Teilhabe, im besten Fall in Form einer aktiven Rolle. Die öffentlichen Investitionen sind nicht nur kurzfristig wohl einer der besten Hebel für einen Wirtschaftsaufschwung, sie brauchen auch die Mitwirkung von Handwerkern, Projektmanagerinnen, Ingenieure und vielen weiteren Berufsgruppen. Für sie ergibt sich durch die Investitionsoffensive ein gemeinsames, sinnstiftendes Projekt. Vor Ort sollten die Menschen bei der Entscheidung eingebunden werden, was als erstes saniert oder gebaut werden sollte: Sind Straßen und Brücken wirklich am dringlichsten oder doch Schulen, Kitas, Begegnungs- und Gemeinschaftsorte, der öffentliche Nahverkehr, schnelles Internet oder klimaneutrale Energienetze?
Richtig gemacht, entstehen aus dem Infrastruktur-Wumms sicht- und spürbare Verbesserungen für die Menschen in ihrer Lebenswelt. Weil die AfD dort stark ist, wo (soziale) Infrastruktur und öffentliche Daseinsvorsorge über die Jahre immer schwächer geworden sind, kann das auch ein wirksames Programm gegen Populismus sein. Dazu müssen politische Konzeption und Kommunikation aber besser miteinander verzahnt werden. Der neue Kanzler Merz sollte die Infrastrukturinvestitionen nicht weiter zu einem Eingeständnis an die SPD verzwergen, sondern endlich zu einem gemeinsamen Hoffnungsprojekt machen.
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