Was sind die Herausforderungen einer nachhaltigen Transformation des Energiesektors? Zu dieser Fragestellung kuratierten Das Progressive Zentrum und die Bonner Akademie für Forschung und Lehre Praktischer Politik einen Hintergrundworkshop mit Vertreter:innen aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft. Ziel des Workshops war die Erarbeitung strategischer Leitlinien für eine progressive Energiewende zwischen Klimaschutz und Sozialpolitik.
Mit dem Bekenntnis zur Klimaneutralität 2045 wurde ein zeitlicher Rahmen für die Transformation des Energiesektors geschaffen. Dennoch gibt es immer noch Unklarheiten, wie die Energiewende als gesamtgesellschaftliches Projekt umgesetzt werden kann. Welche sozialen und politischen Hürden müssen wir überwinden, um die Transformation des Energiesektors zu beschleunigen? Wie lässt sich Teilhabe durch die Bevölkerung angemessen organisieren? Lesen Sie hierzu unsere ausführliche Veranstaltungssynopse, um einen Überblick über den letzten Teil unserer Workshopreihe zu erhalten.
Workshop 3: Die sozial-ökologische Transformation des Energiesektors – Nachhaltigkeit sozial gestalten
Der Workshop beschäftigte sich mit folgenden Leitfragen: Welche strategischen Eckpunkte sollten einer neuen Energiepolitik zu Grunde liegen? Welche staatlichen Steuerungsmaßnahmen können für eine gerechte Verteilung der Kosten sorgen? Wie kann Teilhabe am Prozess der Energiewende angemessen organisiert werden?
Strategische Rahmenbedingungen für eine neue Politik
Auf dem Weg zur Klimaneutralität in 2045 kommt dem Ausbau des Stromsektors eine absolute Schlüsselrolle zu. Eine erfolgreiche Politik zur Transformation des Energiesektors sollte die folgenden strategischen Grundkonstanten mit einschließen: Vermeidung von Fehlinvestitionen, Steigerung der Energieeffizienz, direkte Elektrifizierung und indirekte Elektrifizierung.
“Um das Ziel Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen, brauchen wir klare politische Entscheidungen und einen verlässlichen staatlichen Rahmen für Investitionsbedingungen. Es braucht Mut, eine ehrliche Debatte zu führen und wir müssen Konflikte aushalten, die aus dem Spannungsverhältnis zwischen Bürgerbeteiligung, klaren politischen Entscheidungen und mehr Tempo entstehen.”
Rainer Baake
Für die schnelle Umsetzung eines solch umfassenden Umbaus, müssen vor allem träge Planungs- und Genehmigungsprozesse beschleunigt und der zeitliche Horizont von Infrastrukturkonzepten auf 2030 festgelegt werden. Eine gemeinsame Systemplanung von Strom- und Gassektor bildet die Grundlage für die direkte und indirekte Elektrifizierung.
Vertrauen und Teilhabe als Voraussetzung
Die erfolgreiche Transformation des Energiesektors hängt von einer breiten Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft ab. Die Zustimmung in der Bevölkerung zur Energiewende ist ungebrochen hoch, doch gegen konkrete Projekte vor Ort formiert sich oftmals Widerstand.
“Wir dürfen bei der Energiewende nicht nur über monetäre Fragen sprechen, sondern auch über Beteiligung. Niemand sollte sich von den Prozessen überrollt fühlen, sondern aktiv Teil davon werden können, um sich so auch positiv damit zu identifizieren.”
Almut Petersen
Um die Akzeptanz zu Energiewende und Klimaschutz auch über die kommende Legislaturperiode hinaus zu stärken und das Vertrauen in staatliche Institutionen zu steigern, müssen die Nachvollziehbarkeit von politischen Entscheidungen und Teilhabe an den Prozessen der Transformation durch die Bevölkerung gewährleistet sein. Es sollte ein breiter Zugang durch innovative Beteiligungsformate bestehen (z.B. Bürger:innenräte), um auch marginalisierte Gruppen in die Prozesse einzubinden.
Soziale Dimensionen mitdenken
“Energiewende und Daseinsvorsorge, also Wohnen, Energieversorgung und Mobilität müssen gemeinsam gedacht werden sowie klimaneutral und erschwinglich sein. Die neue Bundesregierung muss es aus genau diesen Gründen schaffen, die Energiewende wieder zu einem Gemeinschaftswerk zu machen.”
Sabrina Schulz
Ein neuer rechtlicher Ordnungsrahmen kann die ökologische, ökonomische und soziale Dimension der Energiewende vereinen. Zum Beispiel können eine Reform hin zu einem an Nachhaltigkeit orientierten Steuer- und Abgabensystem oder die Umstrukturierung des CO2-Preises zu einem effektiven und gerechten Klima- und Umweltschutz beitragen. Es geht zusätzlich auch darum, z.B. den Mindestlohn zu erhöhen, um mehr finanzielle Sicherheit in unsicheren Zeiten zu schaffen oder auf Energieeffizienz beim sozialen Wohnungsbau zu achten.
Beschäftigungspolitische Aspekte einbinden
Die technologische und infrastrukturelle Debatte in Deutschland dreht sich verstärkt um die großen Branchen und Unternehmen. Aus beschäftigungspolitischer Perspektive spielen aber gerade die energieintensiven klein- und mittelständischen Unternehmen (KMUs) eine große Rolle. Aus diesem Grund sollte ein sozial-ökologischer Ordnungsrahmen nicht nur die Bedürfnisse der großen Branchen in den Blick nehmen, sondern KMUs in (brücken-) technologischen und infrastrukturellen Entscheidungen aktiv mitdenken.
“Die Debatte um die Energiewende in Deutschland dreht sich vor allem um große Branchen und Unternehmen. Es sind aber die kleinen energieintensiven KMUs und der Mittelstand, die durch ihre Wertschöpfung beschäftigungspolitisch am relevantesten sind. Energiewendepolitik sollte sich auch auf ihre Unsicherheiten fokussieren.”
Kajsa Borgnäs
Neuer Politikstil
Für die Umsetzung der Energiewende ist ein klarer politischer Stil nötig, um politische Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Dafür braucht es den Mut, Konflikte zu benennen und Kompromiss-Strategien zu entwickeln, welche verursacher:innengerechte Belastungen priorisieren. Dem Spannungsverhältnis zwischen Bürger:innenbeteiligung, konsequenten Entscheidungen und deren raschen und zeitnahen Durchsetzung muss mit einer ehrlichen Debatte begegnet werden, wenn Konflikte minimiert oder abgewendet werden sollen.
Im Rahmen des Workshops haben u.a. mitgewirkt:
- Rainer Baake (Stiftung Klimaneutralität)
- Kajsa Borgnäs (Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE)
- Jan-Lukas Brunsen (Aurora Energy Research)
- Johanna Cludius (Öko-Institut)
- Frank Decker (Das Progressive Zentrum, Universität Bonn)
- Corinna Enders (Zukunft – Umwelt – Gesellschaft)
- Hermann Falk (GLS Treuhand Stiftung
- Daniela Fietze (Stiftung Umweltenergierecht)
- Andreas Fischer (Institut der deutschen Wirtschaft Köln)
- David Frank (Germanwatch)
- Melanie Frerichs (Deutscher Gewerkschaftsbund
- Antje Grothus (Klima-Allianz Deutschland)
- Wolfgang Gründinger (Enpal)
- Timo Karl (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn)
- Danuta Kneipp (50Hertz)
- Sandra Köster (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit)
- Julia Michaelis (Sachverständigenrat für Umweltfragen)
- Almut Petersen (Bürgerwerke)
- Viviane Raddatz (WWF Deutschland)
- Florian Ranft (Das Progressive Zentrum)
- Alexander Reitzenstein (Rat für Nachhaltige Entwicklung)
- Mascha Richter (Rainer Lemoine Institut)
- Hannah Scharrenberg (Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik)
- Wolfgang Schroeder (Das Progressive Zentrum, Universität Kassel)
- Sabrina Schulz (Das Progressive Zentrum, Sustainable Development Solutions Network)
- Katja Schumacher (Öko-Institut)
- Immanuel Stieß (Institut für sozial-ökologische Forschung)
- Kathrin Thomaschki (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie)
- Julia Verlinden (Deutscher Bundestag)
- Anna Wenz-Temming (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn)
- Frauke Wiese (Europa-Universität Flensburg)
- Christine Wörlen (Arepo)