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Drei Aufgaben: Wie sich die Partei der Arbeit erneuern kann – und muss

Als Konsequenz der bitteren Ergebnisse der Bundestagswahl 2025 muss die SPD einen Prozess der Selbstverortung und Neuorientierung starten. Dabei gilt es, sich nicht nur auf den eigenen Ursprung zurückzubesinnen, sondern vor allem auch ein zukunftsfähiges Angebot für ihr eigentliches Kernklientel zu schaffen. Dazu braucht es Dreierlei.

Auf ihrem Parteitag Ende Juni wird die Sozialdemokratische Partei Deutschland (SPD) nicht nur eine neue Führung wählen und Anträge beraten, sondern nach dem historisch schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl im Februar 2025 auch einen Prozess der Selbstverortung und Neuorientierung starten müssen. Vor dem Hintergrund der eigenen, stolzen Geschichte als Partei der Arbeit sowie dem Anspruch, weiterhin als Volkspartei Brücken in viele gesellschaftliche Gruppen bauen zu können, müssen dabei drei Aufgaben angegangen werden.

Erste Aufgabe: Die Partei der Arbeit braucht ein Update ihrer Vorstellung von Arbeit

Noch immer bestimmt ein verzerrtes Bild des männlichen Malochers die Vorstellung, welche Politik die arbeitende Bevölkerung erwartet. Die Arbeiter:innenklasse besteht heutzutage nicht nur aus Produktionsarbeiter:innen; auch Dienstleister:innen, Bürokräfte und Solo-Selbständige arbeiten häufig in prekären Verhältnissen und haben ein unzureichendes finanzielles Auskommen. Die Arbeitswelt ist weiblicher geworden, hat viel öfter eine Migrationsgeschichte, viele arbeiten in Teilzeit. Daher gilt es, die Diversität von Arbeit anzuerkennen und eine Verbesserung von Arbeitsverhältnissen auf verschiedenen Ebenen zu erreichen. Angemessene Löhne, aber auch Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Würdigung der Relevanz der geleisteten Arbeit sind angezeigt.1

Gleichzeitig gilt: Arbeit ist weiterhin ein sehr wichtiger Bestandteil unseres Lebens. 85 Prozent der Menschen hierzulande sind stolz auf ihre Arbeit; nur zwei Prozent sind es nicht. Ebenso geht die übergroße Mehrheit gerne zur Arbeit und hält die eigene Arbeit für gesellschaftlich wichtig. Interessanterweise zählt sich fast die Hälfte der Gesellschaft selber zur Arbeiter:innenklasse – egal ob alt oder jung, Mann oder Frau … und selbst 1/3 derjenigen mit formell hoher Bildung. Gleichzeitig verorten sich knapp 90 Prozent der Bürger:innen in der Mitte der Gesellschaft. Daher ist ein Klassenbewusstsein eher schwach ausgeprägt

Zweite Aufgabe: Nur wählbar sein, reicht nicht. Daher gilt es, die multiplen Konkurrenzverhältnisse zu erkennen und das eigene Profil zu schärfen.

Die SPD ist für alle gesellschaftlichen Gruppen wählbar – allerdings selten die erste Wahl. Tatsächlich ist ihr Potenzial weiterhin recht hoch, nur die Ausschöpfungsquote ist gering (bei den Produktionsarbeiter:innen ist sie übrigens am höchsten). Im Gegensatz zur AfD und teilweise auch anderen Parteien wird die Sozialdemokratie aber auch von keiner großen Gruppe stark abgelehnt. Gewinner der Bundestagswahl waren Parteien, die kritisiert haben, wo die Probleme liegen und die Lösungen dafür angeboten haben, an die sie selber glauben und für die sie stehen. Als langjährige Regierungspartei fällt es der SPD oft schwer, Veränderungsbedarf zu benennen und klarzumachen, was sie an den Hebeln der Macht erreichen will. 

Die SPD ist nur noch bei der ehemaligen Arbeiter:innenklasse stark, die inzwischen in Rente ist. Bei den aktuell Berufstätigen gibt es kein Profil nach Erwerbsklassen. Je nach Berufsklasse konkurriert die SPD mit anderen Parteien. Dies ist keine deutsche Besonderheit, sondern in vielen westeuropäischen Ländern zu beobachten.  Die größten Überschneidungen beim Wähler:innenpotenzial bestehen mit den Grünen und der Union. Jeweils 14 Prozent der Wahlberechtigten können sich die Wahl der Grünen und der SPD oder der Union und der SPD vorstellen. Auch wenn diese Gruppen gleich groß sind, unterscheiden sie sich stark: Überschneidungen gibt es mit den Grünen – vor allem bei sozio-kulturellen Expert:innen wie Lehrer:innen und Erzieher:innen. Bei der neuen Arbeiter:innenklasse (Produktionsarbeiter:innen und Dienstleister:innen) konkurriert die SPD mit den Konservativen wie auch mit radikal rechten Parteien.

Dritte Aufgabe: Der Weg zurück in die Erfolgsspur führt über Vertrauensarbeit und eine Neubesinnung auf das, wofür die Partei steht und kämpft.

Die FES-Studie „Welche Träume bewegen Deutschland?“ (aber auch die schlechten Sympathiewerte für die Spitzenkandidat:innen der letzten Bundestagswahl) zeigen, dass es in erster Linie an Vertrauen in die Politik und die Politiker:innen fehlt. 53 Prozent der Befragten widersprachen vor dem Bruch der Ampelkoalition der Aussage „Die Politik in Deutschland ist in der Lage, die Herausforderungen der Zeit zu bewältigen“. Nur 30 Prozent waren zuversichtlich, dass die Politik die Zukunftsherausforderungen bewältigen kann. 84 Prozent bemängelten, dass es der „Politik an einer Vision fehlt, wie es langfristig in Deutschland weitergehen soll“. Hier muss die SPD ansetzen, wenn sie wieder Wahlerfolge feiern will. Es gilt zu zeigen, dass die Partei nicht nur für ihre Regierungsfähigkeit gewählt werden will, sondern weil sie etwas im Land verändern will – und dass sie das auch kann.

Rechte Parteien mobilisieren über eine Ausgrenzungslogik: Arbeiter:innen vs. Faule, Steuerzahler:innen vs. Leistungsempfänger:innen, Einheimische vs. Migrant:innen – hier ist für die SPD nichts zu gewinnen. Eine Übernahme der rechten Problemdefinition propagiert ein Politikverständnis, das die Sozialdemokratie überflüssig macht und nur den politischen Gegner stärkt. Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Studien hat gezeigt, dass dieser Politikstil ausschließlich dem rechten Spektrum Punkte bringt

Stattdessen gilt es, die gemeinsamen Interessen von Lohnabhängigen ins Zentrum zu stellen, stärker wieder die Oben/unten-Konfliktarena2 zu adressieren und auf eine inklusiv-solidarische Logik zu setzen. Oder wie es Thomas Lux und Linus Westheuser in ihrer Studie über den Zusammenhang von Klassenbewusstsein und Wahlentscheidung formulieren: 

Will Mitte-links-Politik die Arbeiterklasse mit der progressiven Mittelklasse zusammenbringen, bietet es sich an, wieder klarzumachen, dass die öffentliche Infrastruktur des Gemeinwohls, die Regulierung des Profitstrebens zum Wohle der Beschäftigten wie auch wohlfahrtsstaatliche Errungenschaften von Rente bis zum Wohngeld Ergebnis einer historischen Mobilisierung einfacher Leute sind und dass dieser Kampf um sozialen Fortschritt ein unabgeschlossener ist. Anders gesagt, gilt es also, das Vokabular einer demokratischen Klassenpolitik wiederzugewinnen, die das Herz der sozialdemokratischen und linken Tradition ausmacht.“

Wir leben in Zeiten multipler Krisen und zunehmender Verteilungs- und Anerkennungskämpfe. Die Sozialdemokratie darf sich weder der Illusion hingeben, dass die guten alten Zeiten wieder zurückkehren und ihr eine Renaissance bescheren, noch darf sie in der Zeitenwende ihren eigenen Kompass aus dem Blick verlieren. Nur wer die neuen Rahmenbedingungen (an)erkennen und deuten kann, sich dabei auf seinen Auftrag – den Kampf gegen gesellschaftliche Ungleichheit – besinnt, wird in der Lage sein, neue gesellschaftliche Koalitionen zu schmieden und wieder an Zustimmung zu gewinnen.


1 Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat sich in den vergangenen zwei Jahren intensiv mit der Bedeutung von Arbeit, Unterschieden zwischen Berufsklassen und der Frage beschäftigt, wer oder was die Arbeiter:innenklasse ist. Grundlage des Projekts „Kartographie der Arbeiter:innenklasse“ sind eine Vielzahl von Fokusgruppeninterviews sowie eine bundesweite Befragung von 5.000 Personen, die von Kantar Public für die FES durchgeführt wurden. Auf Basis der empirischen Daten sind mehrere Publikationen – oftmals auch von externen Wissenschaftler:innen – entstanden, die verschiedene Facetten der Arbeitswelt untersuchen.

2 Vgl. Mau, Steffen; Lux, Thomas; Westheuser, Linus 2023: Triggerpunkte: Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft, Berlin.

Dieser Text ist ein persönlicher Meinungsbeitrag von Jan Niklas Engels und stellt nicht die Sicht der Friedrich-Ebert-Stiftung dar.

Autor

Jan Niklas Engels ist Referent für Empirische Sozial- und Trendforschung im Referat Analyse und Planung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Zuvor war er in verschiedenen Funktionen im In- und Ausland für die FES tätig, u. a. als Büroleiter in Budapest, Ungarn.

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