Das Progressive Zentrum verliert einen wichtigen Unterstützer, Wegbegleiter und Ratgeber. Thomas Oppermann, Mitglied unseres Circle of Friends, war ein großer Demokrat, ein leidenschaftlicher Politiker, ein interessierter und interessanter Mensch. Sein Tod kam viel zu früh.
Die Nachricht, dass Thomas Oppermann im Alter von 66 Jahren unerwartet gestorben ist, hat mich – wie so viele – hart getroffen. Er war ein großer Demokrat, ein leidenschaftlicher Politiker, ein interessierter und interessanter Mensch. Er stand mitten im Leben. Sein Tod kam viel zu früh.
Von 2015 bis 2018 war ich sein Mitarbeiter im Büro des SPD-Fraktionsvorsitzenden. Das war für mich eine unglaublich spannende und inspirierende Zeit. Auch deshalb, weil Thomas Ideen gern in der Diskussion mit seinen MitarbeiterInnen entwickelte. Wenn wir ein dringendes Anliegen hatten, konnten wir KollegInnen am Sekretariat vorbeimarschieren und ihn direkt ansprechen: „Hast Du eine Minute?“ Er hatte eigentlich immer eine Minute. Weil ihn die Themen wirklich begeisterten. Und weil er uns auf Augenhöhe begegnen wollte. Wenn wir es als wichtig erachteten, war es wichtig.
Thomas konnte im Alltag sehr spontan sein, doch öffentliche Auftritte bereitete er akribisch vor. Seine angriffslustige Rhetorik, für die er geschätzt wie gefürchtet wurde, ging häufig auf eine professionelle Vorbereitung zurück. An seinen Reden arbeitete er mit Hingabe. Satz für Satz gingen wir Entwürfe durch, schliffen Formulierungen, entwickelten Sprachbilder. Dabei wurde viel gelacht und gelegentlich auch gemeckert. Thomas hatte immer hohe Ansprüche an sich selbst und an andere. Und genau deshalb war er so erfolgreich.
Sein diskursives Politikverständnis bedeutete nicht inhaltliche Beliebigkeit. Im Gegenteil. Thomas vertrat auf vielen Gebieten glasklare Positionen, die er im Gespräch nur nachschärfte. Vor allem war er ein pragmatischer, bodenständiger Sozialdemokrat. Seiner Meinung nach sollte sich die SPD nicht in lebensfremder Utopie verrennen, sondern in erster Linie die Bedürfnisse der normalen Leute berücksichtigen. Progressive Politik, davon war er überzeugt, dürfe sich nicht auf die Felder Sozialpolitik und Bürgerrechte verengen. Sie müsse ebenso sehr mit einer florierenden Wirtschaft, innerer Sicherheit und einer Einwanderungspolitik nach klaren Regeln verbunden werden. Den Entwurf eines modernen Einwanderungsgesetzes erarbeitete er 2016 quasi im Alleingang. Und die Hartz-Reformen verteidigte er – bei allen notwendigen Anpassungen im Detail – von Anfang an. Ein wichtiges Ziel des Sozialstaates sei es, die Menschen in die Lage zu bringen, auf eigenen Füßen zu stehen. Genau deshalb war Oppermann auch überzeugter Bildungspolitiker. Von seiner Zeit als niedersächsischer Wissenschaftsminister von 1998 bis 2003 erzählte er stets mit leuchtenden Augen.
Thomas trieb um, dass die SPD in seiner Amtszeit als Fraktionsvorsitzender zahlreiche ursozialdemokratische Verbesserungen durchsetzen konnte, aber in Wahlergebnissen und Umfragen kaum davon profitierte. Auf einer Autofahrt sagte er einmal zu mir, es tue ihm leid, dass seine Generation eine geschwächte Partei hinterlasse – mit weniger Mitgliedern, weniger Prozenten in den Parlamenten, weniger Aufbruchgeist als früher. „Ihr müsst Aufbauarbeit leisten“, sagte er.
Thomas Oppermann wäre gern Bundesminister geworden. Er war aber auch Parlamentarier mit Leib und Seele – von 1990 bis 2005 im niedersächsischen Landtag und seit 2005 im Bundestag. Das Bundestagsmandat im Wahlkreis Göttingen gewann er viermal direkt. Darauf war er stolz. Den Bundestag verstand er nie als „Abnick-Verein”, sondern als selbstbewussten Akteur und Herzstück des politischen Systems. Er war ein engagierter Kämpfer für die liberale Demokratie und gegen den Rechtsextremismus. Daher war er für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten seit 2017 wie geschaffen. Er füllte es mit großer Umsicht und viel Energie aus.
Das Progressive Zentrum verliert einen wichtigen Unterstützer, Wegbegleiter und Ratgeber. Thomas Oppermann war seit vielen Jahren Mitglied in unserem „Circle of Friends“. Unvergessen bleiben seine wertvollen Impulse in Hintergrundgesprächen und seine öffentlichen Auftritte auch vor internationalem Publikum. Beispielsweise nahm er im Jahr 2017 in London an einer von uns organisierten Podiumsdiskussion zur Neuausrichtung der deutsch-britischen Beziehungen teil und trat bei der Feier zu unserem zehnjährigen Bestehen in der Berliner Kalkscheune auf. Für diese Zusammenarbeit und die gemeinsame Zeit sind wir dankbar. Thomas Oppermann wird fehlen. Er wird uns fehlen. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie.