Reicht der Begriff „Transformation“, wenn wir die Welt retten wollen?

Der Begriff „Transformation“ macht Karriere. Aber wissen auch alle, was damit gemeint ist? Policy Fellow Johannes Hillje beschreibt bei „Übermedien“ eine Alternative

Der Begriff „Transformation“ ist in aller Munde. Aber ist er auch geeignet, um zu beschreiben, was nötig ist? Oder wirft er eher Fragen auf? Policy Fellow Johannes Hillje beschreibt in seinem Gastbeitrag bei „Übermedien“ eine Alternative.

„Transformation ist das Wort“, sagte kürzlich der Bundeskanzler, das „in aller Munde ist“. „Zu recht, weil es um eine Veränderung geht“, fügte er hinzu. Anlass dieser linguistischen Kurzanalyse des Kanzlers war die Auftaktsitzung der „Allianz für Transformation“, eine Gesprächsreihe der Bundesregierung mit Wirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Man suche dabei nach einem „gemeinsamen Verständnis von Transformation“, heißt es von Seiten der Regierung. Eine korporatistische Suchbewegung also, bei der offensichtlich auch der Kanzler die richtigen Worte erst noch finden muss. Sprachlich etwas ungelenk sagte er schließlich: „Transformation ist auch mit Wandel verbunden“, und „da gibt es für viele Menschen auch Fragen und Sorgen, ob das für sie gut ausgeht.“

Zu dieser Verunsicherung dürfte zunächst der Kanzler höchstpersönlich durch die Verunklarung des betreffenden Wandels beitragen: Die Scholz’sche Allianz spricht von einem „Umbau unserer Gesellschaft, im Zeichen von Zeitenwende, Klimaneutralität und Digitalisierung“. Damit wirft der Kanzler in den Transformationstopf so viele Zutaten wie sonst niemand. Dass der fossile Ausstieg nun auch als sicherheitspolitische Notwendigkeit gilt, dürfte den Allermeisten mittlerweile zwar einleuchten. Die Digitalisierung verträgt sich aber derzeit kaum mit der Klimaneutralisierung: „Das Internet“ ist ein big polluter, im Jahr 2020 produzierte es mehr CO2-Emissionen als Deutschland.

Trigger für Angsterzählungen

Eigentlich begann die zeitgenössische Karriere des Transformationsbegriffs mit einer klaren klima- und umweltpolitischen Zuordnung: 2011 legte der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen das Gutachten „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ vor. Den Appell zur Großtransformation leitete der Beirat aus den bedrohlichen „Megatrends des Erdsystems“ ab.

Elf Jahre später haben wir Gesellschaft und Wirtschaft längst noch nicht umgebaut, weshalb uns Putin erpressen kann und es nun das Klima ist, das unser Leben mehr und mehr transformiert. Vor allem wissen wir aber noch weniger, worüber wir reden, wenn wir „Transformation“ sagen.

Zwar ist der Begriff bei Journalisten und Politikerinnen tatsächlich in aller Munde, geeignet ist er jedoch nicht, um den Menschen „Fragen und Sorgen“ zu nehmen. Im Gegenteil: In Ostdeutschland aktiviert der Begriff bei nicht Wenigen ein historisches Trauma, man erinnert sich an enttäuschte Versprechen der letzten Transformation, „blühenden Landschaften“ und so. Von einem „neuen 1990“ ist etwa mit Blick auf den Kohleausstieg die Rede. Dann ist der Transformationsbegriff vielmehr dazu geeignet, Trigger für populistische Angsterzählungen zu sein.

Ein Begriff, der kein Ziel kennt

Der Kern des Problems liegt in der Semantik des Begriffs. Transformation ist die Substantivierung des Verbs transformieren, das gleichbedeutend mit umwandelnumformenumgestalten ist. Unser Sprachschatz hält diesen Begriff bereit, damit wir ausdrücken können, dass sich etwas in seinem Wesen verändert. Aus A wird B. Nicht vermitteln können wir damit, wie sich etwas verändert. Es ist ein Begriff, der für sich genommen keine Richtung und kein Ziel kennt, ihn interessiert allein die Veränderung. Ob diese für die Menschen „gut ausgeht“, wie Scholz fragt, der Transformationsbegriff würde mit den Schultern zucken.

Semantisch kann der Begriff also vieles, nur keine Stabilität. Genau das wünschen sich aber zunehmend mehr Menschen in einer Zeit der sich aufaddierenden Veränderungen und Verunsicherungen. Kognitiv kann er uns zudem kein mentales Bild liefern, das unserem Verständnis des Gemeinten auf die Sprünge hilft.

Sprachbilder können in der politischen Kommunikation, insbesondere bei komplexen Themen, der gesellschaftlichen Verständigung dienen. „Infektionskette“ und „Immungedächtnis“ sind Metaphern, die das Verständnis von Zusammenhängen in der Pandemie erleichtert haben. „Transformation“ dürfte jedoch bei niemandem ein sinnstiftendes Bild in die Hirnwindungen projizieren.

Gibt man den Begriff in die Google-Bildersuche ein, die (wenn man sie algorithmisch entpersonalisiert) ein guter Indikator für die Bebilderung eines Themas in der öffentlichen Kommunikation ist, stiften die Top-Treffer eher visuelle Verwirrung: Es erscheinen technische Motive mit Zahnrädern, Maschinen, Netzwerken, aber nichts, was auch nur ansatzweise an den Schutz unserer Lebensgrundlagen denken lässt. Kurzum: Mit dem Wörtchen „Transformation“ können wir uns kein Bild und kein Begriff von der Mammutaufgabe machen, die wir in wenigen Jahren leisten müssen.

Unser Klima-Standardvokabular

Mittlerweile hat es schon Tradition, dass das Klima in der Klimadebatte benachteiligt wird. Der Diskurs pendelt seit Jahren zwischen Verzichts-, Verbots- und Kostenunterstellungen auf der einen und defätistischer Untergangsrhetorik auf der anderen Seite. Nichts davon vermittelt Handlungsfähigkeit, geschweige denn die Chance auf mehr Lebensqualität, neue Wertschöpfung und eine gerechtere Gesellschaft.

Zudem bagatellisiert unser Klima-Standardvokabular, was auf dem Spiel steht. Wir reden noch immer vom „Klimaschutz“, als sei Klimapolitik eine Charity-Veranstaltung für ein uns nicht betreffendes System. Der Begriff steht symptomatisch für die Entfremdung in der Mensch-Natur-Beziehung. Letztlich geht es aber um nichts weniger als Menschheitsschutz.

Ohne Begriff kein Begreifen

Klar: Begriffskritik ist einfach, Begriffsfindung deutlich komplizierter. Doch wir kennen immerhin das finale Ziel, vereinbart und gesellschaftlich akzeptiert dank Pariser Abkommen, Europäischem Green Deal, nationalen Klimazielen. Nur wie nennen wir den Weg, den wir zu Klimaneutralität, 1,5 Grad, Nachhaltigkeit und so weiter gehen müssen? Und warum brauchen wir dafür überhaupt einen knackigen Begriff?

Ein Schlüsselbegriff hat die Funktion, die gesellschaftliche Verständigung über das gemeinsam Angestrebte zu erleichtern. Zumal wir uns über komplizierte Angelegenheiten unter den Bedingungen einer Schlagwort-Öffentlichkeit verständigen müssen, die nicht zuletzt durch Social Media auf Verkürzung von Kommunikation beruht. Es gilt: ohne Begriff kein Begreifen.

Gesucht wird somit ein Ausdruck, der die Transformation in jene Richtung lenkt, in der unsere Klima- und Nachhaltigkeitsziele verortet sind. Schnell fällt einem das Wort „Dekarbonisierung“ ein, also die kontinuierliche Reduzierung des CO2-Austoßes. Doch zum einen ist das ein zu technischer Begriff, zum anderen greift er inhaltlich zu kurz. Schließlich lässt sich der Verlust von Biodiversität, ebenfalls Thema des Green Deals und auch eines neuen UN-Rahmenabkommens, nicht allein mit weniger CO2 lösen. Nötig ist auch ein Ende der Übernutzung und Verschmutzung von Böden, Wäldern, Meeren, also vom Lebensraum von Pflanz- und Tierarten.

Achtung und Abhängigkeit

Einen überaus interessanten Ansatz für die Begriffssuche liefert der historische Bezugspunkt, den der Beirat der Bundesregierung für das Wording von der „großen Transformation“ wählte. Diesen Ausdruck prägte 1944 der Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi in einer Analyse der industriellen Revolution, die er während des Zweiten Weltkriegs schrieb. Eine zentrale These ist darin, dass das Paradigma des selbstregulierenden Marktes die Wirtschaft aus ihrer Einbettung in die Gesellschaft herauslöse. Nach ihrer „Entbettung“ habe die Ökonomie begonnen, der Gesellschaft ihre Gesetzmäßigkeiten aufzudrücken, was zu politischer Instabilität und sozialen Unruhen führte und nur durch eine „Wiedereinbettung“ der Wirtschaft in die Gesellschaft zu reparieren sei.

Dieser Dreischritt aus Einbettung-Entbettung-Wiedereinbettung lässt sich heute auf unser Verhältnis zur Umwelt übertragen. Gesellschaft und Wirtschaft, einst in der Agrargesellschaft noch einigermaßen eingebettet in die Umwelt, haben sich aus ihren natürlichen Lebensgrundlagen entbettet. Klima- und Umweltkrisen sind die Folge, die nur durch Wiedereinbettung zu bewältigen sind. Diese soll selbstredend kein Rückschritt in die Deindustralisierung sein, wie Klimaleugner gerne behaupten, sondern ein Fortschritt zu klimaverträglichem Wohlstand. In diesem Ziel-Zustand wäre das Verhältnis von Mensch und Umwelt wieder in einem gesünderen Gleichgewicht, womit wir beim inhaltlichen Kern der Begriffsfindung angekommen wären: der Ökologie.

Die „Ökologie“ definierte der Zoologe Ernst Haeckel 1866 als „Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt“. Diese Beziehungen sollen laut Haeckel aus Achtung und Abhängigkeit bestehen. Später wurde das Ökologieverständnis zu einem ressourcenschonenden und intakt haltenden Umgang mit der Natur weiterentwickelt. Die „Wiedereinbettung“, die wir mit der Transformation anstreben, ist somit die Reintegration von Gesellschaft und der menschengemachten Wirtschaft in die Umwelt. Oder auf einen Begriff gebracht: eine Ökologisierung. Und tatsächlich erscheint die Ökologisierung eine geeignete Begriffsalternative zur unzielgerichteten Transformation zu sein.

Mainstreaming des Ökologiebegriffs

Nun werden manche einwenden, dass man bei „Öko“ doch als erstes den birkenstocktragenden Waldorflehrer vor Augen habe und „ökologisch“ im politischen Diskurs von den Grünen besetzt sei. Doch wer so denkt, hat das beachtliche Mainstreaming des Ökologiebegriffs in den letzten Jahren verpasst: Friedrich Merz sagt, dass man „Ökonomie und Ökologie versöhnen“ müsse, Christian Linder will unsere Volkswirtschaft „auf die Höhe der Zeit einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ bringen. Diese Formulierungen sind mittlerweile, von der AfD absehen, sprachliche Konsense der Parteienlandschaft, in der Begriffskämpfe eine der wichtigsten Disziplin des Wettbewerbs sind.

Und das Neue ist bei diesen politischen Formeln eben das Ökologische. Wenn die soziale Markwirtschaft zu einer sozial-ökologischen werden soll, dann muss sie ökologisiert werden. Im letzten CDU-Wahlprogramm kam der Begriff „ökologisch“ 18 mal vor, im halb so langen FDP-Programm immerhin zehnmal. Auch der griechische Ursprung des Begriffs müsste konservative Herzen eigentlich erwärmen: Oikos (Öko) bedeutet Haus oder auch Heimat. Ökologisierung meint demnach den Schutz unserer Heimat, unseres Hauses, unserer Lebenswelt. Denkbar wären als Begriff natürlich auch gewisse „Öko-„Komposita, beispielsweise „Ökomodernisierung“. Die Stärke der Klarheit gehört aber der Ökologisierung.

Und wer nun noch einwendet, der Durchschnittsdeutsche sei ja aber kein Naturmensch, immerhin leben über 77 Prozent in Städten, der sollte sich den neuen Planetary Health Action Survey (PACE) der Universität Erfurt ansehen: 84 Prozent der Deutschen macht es sehr glücklich, in der Natur zu sein, 68 Prozent halten sich mehrmals pro Woche in der Natur auf, und ebenso viele fühlen sich als Teil der Natur. Die große Mehrheit dürfte die „Wiedereinbettung“, die Ökologisierung von Gesellschaft, Wirtschaft und persönlicher Lebensführung also durchaus mit allerhand Positivem assoziieren. Für sie wäre die Ökologisierung die bessere Transformation.

Auch die Bilder stimmen: Die Google-Bildersuche zeigt für „Ökologisierung“ einen gesunden Planeten. Und siehe da: auch blühende Landschaften.

Hier gelangen Sie zur Webseite von „Übermedien“, wo der Text am 25.08.2022 erschienen ist.

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