Die Unverzichtbaren: „Das Wichtigste ist Respekt: Wir sind keine Nummern, sondern Menschen.“

Basisarbeiter:innen Gehör verschaffen, so lautete das Ziel des Projekts, das mit der Veröffentlichung der Studie „Die Unverzichtbaren: Menschen in Basisarbeit“ und der Premiere des begleitenden Dokumentarfilms am 12. Juni 2025 in Berlin seinen Höhepunkt fand. Wie schauen Beschäftigte in un- und angelernten Berufen auf ihre Arbeit, die Gesellschaft und die Politik? Und was muss vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Lage getan werden, um ihr Vertrauen zurückzugewinnen? Diese und weitere Fragen wurden beim großen Studienlaunch und einem vertraulichen Fachgespräch am darauffolgenden Tag diskutiert.

Als Maria Menzel-Meyer, Leiterin für strategische Kommunikation des Progressiven Zentrums am Abend des 12. Juni die Veranstaltung eröffnet, wird deutlich: Hier stehen heute Basisarbeiter:innen im Zentrum. Sie sprechen auf der Bühne, sitzen in der ersten Reihe und sind auf der Leinwand zu sehen. Denn „Basisarbeiter:innen sind in vielerlei Hinsicht unverzichtbar.“ Über 150 Gäste aus Politik, Wissenschaft, und auch Beschäftigte selbst waren der Einladung ins Hans-Böckler-Haus gefolgt, um sich mit der Lebensrealität der „Unverzichtbaren“ auseinanderzusetzen – sowohl über die Ergebnisse der hier vorgestellten gleichnamigen Studie als auch über den im Rahmen des Projekts produzierten und hier erstmals gezeigten Dokumentarfilm von Regisseur Florian Hoffmann.

Demokratiesicherung bedeutet Entprekarisierung

Die Studie zeigt nicht nur, dass Basisarbeit trotz ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Unverzichtbarkeit oft körperlich stark belastend ist, gering entlohnt wird und wenig Wertschätzung erfährt. Sie belegt auch: Sichere, solidarische und selbstbestimmte Arbeit stärkt das Vertrauen in die Demokratie sowie die Offenheit gegenüber Klimaschutz und Digitalisierung. „Demokratiesicherung bedeutet Entprekarisierung – in der Basisarbeit und darüber hinaus“, so Johanna Siebert, Senior Projektmanagerin und Co-Autorin, als sie zu Beginn der Veranstaltung die Kernergebnisse der Studie vorstellt.

Mit den Menschen und für die Menschen

Vor Ort wächst die Spannung, als Vorhänge den Raum verdunkeln und sich die Aufmerksamkeit auf die Leinwand richtet. Das Publikum wird in den Alltag von Cynthia Würpel, Pflegehelferin, Güven Ciftci, Reinigungskraft, und Khaleel Al Bodach, Paketzusteller, mitgenommen. Cynthia erzählt von den wenigen Minuten, die ihr für die einzelnen Patient:innen zur Verfügung stehen, Zeit zum Durchatmen bleibt keine. Als Güven um 4 Uhr morgens in der Dämmerung zu seiner Schicht für die Reinigung eines großen Universitätsgebäudes aufbricht, ist die Müdigkeit förmlich durch die Leinwand zu spüren. Khaleel berichtet in seiner lockeren Art darüber, wie ihm die Arbeit beim Ankommen in Deutschland geholfen hat, aber auch welche ungewöhnlichen und schweren Bestellungen er teils ausliefert – 18 Flaschen Wein, Toilettenpapier, ein Tisch und vier Stühle – und erntet dafür mitfühlendes Lachen aus dem Publikum.

Was sie verbindet? „Wir arbeiten mit den Menschen und für die Menschen“, sagt Cynthia, eben noch auf der Leinwand, nun auf der großen Bühne stehend im gemeinsamen Interview mit Regisseur Florian Hoffmann. Er beschreibt die Dreharbeiten als eindrucksvolle Erfahrung, die ihm vor Augen geführt habe, wie herausfordernd und zugleich bedeutsam die Arbeit der drei Protagonist:innen sei.

Was muss über den Applaus hinaus getan werden?

In ihrer darauffolgenden Keynote wendet sich Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, direkt an die Film-Protagonist:innen im Publikum: „Ihr seid nicht nur unverzichtbar, wir müssen euch auch stärker aus der Unsichtbarkeit herausholen“. Gesteigerte Anerkennung müsse sich auch im Entgelt und in gesunden und sicheren Arbeitsbedingungen widerspiegeln. Von der Politik fordert sie unter anderem eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor durch eine Tarifwende und eine stärkere Regulierung von atypischen Beschäftigungsverhältnissen.

Auch aus Sicht von Staatssekretärin Leonie Gebers im Bundesministerium für Arbeit und Soziales braucht es eine Aufwertung der Arbeit, nicht zuletzt durch eine bessere Alterssicherung und mehr Weiterbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten. In der Paneldiskussion betont sie: Für eine stärkere Wertschätzung sei auch die Sprache entscheidend. Von ungelernten Berufen zu sprechen sei irreführend, denn es brauche immer gewisse Kenntnisse und Kompetenzen, auch wenn für die Tätigkeiten keine formale Qualifikation vorausgesetzt wird.

Wie Spaltung zwischen Beschäftigten befeuert wird – und wie sie überwunden werden kann

Nicole Mayer-Ahuja, Arbeitssoziologin und Professorin an der Universität Göttingen, bekräftigt: Auch Tätigkeiten in der Basisarbeit seien nicht voraussetzungsfrei. Man brauche Kenntnisse, Erfahrung und Routine, um die Arbeit auszuführen. Ein weiteres verbindendes Element sei der Charakter der Gewährleistungsarbeit: „Man stellt immer wieder einen Zustand her, den alle für normal halten.“ Dank gebe es trotzdem wenig, nur Kritik, wenn die Arbeit nicht geleistet werde.

Auf die Frage, weshalb sich Basisarbeiter:innen trotz der verbindenden Erfahrungen kaum gemeinsam für ihre Interessen einsetzen, verweist Mayer-Ahuja auf ein Konkurrenzgefühl unter Beschäftigten, das von Unternehmen und Politik befeuert werde. Dies betreffe sowohl Stamm- und Randbelegschaften, wie z. B. Leiharbeiter:innen, als auch Beschäftigte und Menschen, die Sozialleistungen beziehen. Die Folge sei eine massive Entsolidarisierung. Aus Angst vor Statusverlust gebe man sich auch mit prekären Beschäftigungsverhältnissen zufrieden. Ein Ansatzpunkt, um diese Spaltung zu überwinden, sei die Wiedereingliederung von Dienstleistungen in den öffentlichen Dienst.

Echte Mitbestimmung und Einhaltung von Gesetzen sind entscheidend

Panelist Hedi Tounsi kann diese Strategien aus eigener Erfahrung von seiner Arbeit im Lager von Amazon in Winsen bestätigen. Er schildert in der Diskussion, wie der Arbeitgeber die Sprachbarrieren der vielen ausländischen Beschäftigten und ihre Angst vor dem Verlust der Aufenthaltserlaubnis gezielt nutze, um gesetzliche Grauzonen auszureizen. Deshalb fordert er eine schärfere Kontrolle und Durchsetzung arbeitsrechtlicher Standards. Er betont: „Ich mag meinen Job und ich mache das gerne. Aber wir sind keine Roboter. Ich möchte, dass mein Manager menschlich und freundlich mit mir umgeht.“ Dafür setzt Tounsi sich auch als Mitglied des Betriebsrats ein, dessen Gründung er als echte Interessensvertretung der Arbeitnehmer:innen angestoßen und vorangetrieben hat.

Ausklang und Ausblick – Was bleibt zu tun? 

Nach der anregenden Diskussion bot ein lockerer Ausklang an dem lauen Sommerabend im Hinterhof die Möglichkeit zum Austausch, auch und vor allem mit den anwesenden Basisarbeiter:innen. Zurück bleibt das Gefühl: Menschen selbst ihre Geschichte erzählen zu lassen, ist mächtiger und wirksamer, als lediglich über sie zu sprechen. Und: Um der Unverzichtbarkeit von Basisarbeiter:innen Rechnung zu tragen, bleibt noch einiges zu tun – eine Erkenntnis, die sich auch am Folgetag in einem vertraulichen Fachgespräch zur Studie bestätigte.

In diesem Rahmen wurden am Vormittag des 13. Juni im Progressiven Zentrum die Studienergebnisse mit Expert:innen aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft nochmals vertieft diskutiert. Im Gespräch wurden die Bedeutung von sicherer und gesunder Beschäftigung für die langfristige Stabilität der Demokratie, aber auch die Notwendigkeit einer verlässlichen öffentlichen Daseinsvorsorge für Menschen mit geringem Einkommen, die auf das Funktionieren dieser Systeme angewiesen sind, hervorgehoben. Vor dem Hintergrund der enormen Entkollektivierung sei zudem eine Repolitisierung der Arbeiterklasse entscheidend sowie eine Stärkung bestehender Strukturen der Sozialpartnerschaft und der gewerkschaftlichen Organisierung.

Entwicklung von konkreten Handlungsansätzen im Denkraum Basisarbeit

Das Fazit der zwei Veranstaltungen: der Handlungsbedarf ist groß. Im weiteren Projektverlauf werden daher konkrete Handlungsempfehlungen zur materiellen und immateriellen Aufwertung von Basisarbeit entwickelt. Der zentrale Ansatz dabei: dialogisch im Austausch mit den Sozialpartnern, der Wissenschaft, der Politik und mit den Beschäftigten selbst.

Wenden Sie sich bei Interesse dazu gerne an basisarbeit@progressives-zentrum.org.

teilen: