Unser Freund und Weggefährte Jürgen Neumeyer ist gestorben. Dass er so plötzlich nicht mehr da ist, macht uns traurig; doch dass wir ihn kannten, macht uns froh. Jürgen war vor 17 Jahren einer der Mitgründer des Progressiven Zentrums und hat unseren Think Tank bis zuletzt unterstützt. Er war ein großer Menschenfreund und fortschrittlicher Freigeist, der viele berührt und bewegt hat. Er wird uns fehlen.
Gerade in den Aufbaujahren gab Jürgen dem Progressive Zentrum wichtige Impulse. Er war ein politischer Mensch – bestens vernetzt, mit klarem Kompass und voller Ideen. Sein Organisationstalent war legendär. Er hatte eine unternehmerische Ader und kannte sich auch in finanziellen sowie rechtlichen Dingen aus. Jürgen konnte man jederzeit anrufen. Und wenn er selbst mal nicht weiterwusste, kannte er immer jemanden, den er fragen konnte.
Jürgen hatte die besondere Gabe, zu anderen Menschen im Handumdrehen vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen. Damit brachte er Menschen zusammen. Status, Rang, Amt, Herkunft, Parteizugehörigkeit – das alles war ihm dabei völlig egal. Für ihn zählte nur die Persönlichkeit. Diese zugewandte Art machte ihn nahbar und liebenswert. Während der Fluchtbewegungen 2015/16 engagierte er sich in Willkommensprojekten und nahm Geflüchtete in seiner Wohnung auf.
Jürgen liebte die Freiheit. Er war ein leidenschaftlicher Motorradfahrer. Als sich die Gründungsmitglieder des Progressiven Zentrums 2007 im polnischen Lagow zu ihrem ersten Strategiewochenende trafen, kam Jürgen mehrere Stunden verspätet an. Er war erst noch ein bisschen mit dem Motorrad „über die Dörfer getingelt“.
Der, der immer alles zusammenhielt
Politisch gehörte Jürgen zur Generation junger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die mit dem überwältigenden Wahlsieg der SPD 1998 – erst noch in Bonn – in den Bundestag einzog und das Netzwerk Berlin ins Leben rief. Zunächst leitete er das Büro von Hubertus Heil, ab 1999 agierte er als Geschäftsführer des Netzwerks. Er war derjenige, „der immer alles zusammenhielt“, wie sich Bundeskanzler Olaf Scholz erst kürzlich in seiner Rede zum 25. Jubiläum des Netzwerks Berlin erinnerte. So prägte Jürgen diese neue politische Strömung innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion entscheidend mit.
Das Netzwerk stand für politische Konzepte wie den vorsorgenden Sozialstaat, aber auch für gesellige Abende und gute Partys, bei denen regelmäßig Jürgen unter dem Namen DJ Nachtleben auflegte. Im Netzwerk hatten sie damals verstanden, dass politische Beziehungen informelle Räume brauchen. Und diese Räume organisierte Jürgen. Später eröffnete er im Regierungsviertel sogar eine eigene parteiübergreifende Kneipe, den Wahlkreis. Hier fanden manche der ersten Gespräche darüber statt, wie es wohl möglich wäre, in Berlin einen progressiven Think Tank zu gründen.
„Ihr seid die Zukunft!“, rief er noch vor wenigen Wochen
Besonders am Herzen lag Jürgen die damals von uns redaktionell verantwortete Zeitschrift Berliner Republik. Er unterstützte uns, wo er nur konnte, etwa bei Verhandlungen mit den Herausgebern oder dem Verlag. Auf ihn war Verlass. Er war auf unserer Seite. In der Zeitschrift hatte Jürgen seine eigene Kolumne: „Neumeyers Nachtleben“. Dafür stürzte er sich alle zwei Monate in die Recherche, immer in einem anderen Berliner Bezirk. Manchmal ging er alleine los, oft nahm er Co-Autoren mit. Das führte zu unvergesslichen Nächten mit vielen Begegnungen und Gesprächen, die Jürgen „Interviews“ nannte. Korrespondent Jürgen lieferte sein Manuskript in allerletzter Minute vor der Deadline ab. Aber er lieferte. Seine Beiträge boten witzige Einblicke ins gastronomische Hauptstadtleben, garniert mit politischem Hintergrund und persönlichen Einschätzungen. Diese Zusammenarbeit hat riesigen Spaß gemacht.
Auch wenn Jürgen die aktive Think-Tank-Arbeit zuletzt den Jüngeren überlassen hat, blieb er interessiert an allen Entwicklungen. Und er kam zu jeder Vereinssitzung. „Ihr seid die Zukunft!“, rief er noch vor wenigen Wochen auf einer Veranstaltung einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Progressiven Zentrums zu. Das wirkt von jetzt aus gesehen wie ein Abschiedsgruß. In unseren Herzen wird Jürgen weiterleben.
In Gedanken sind wir bei seiner Tochter Anouk und seiner Familie.