„Die Debatte um den Heizungswechsel ist katastrophal gelaufen“

Policy Fellow Johannes Hillje im Interview mit der Frankfurter Rundschau über Mittel gegen die Lobby der „Klimabremser“ und warum die Regierung anders kommunizieren muss.

Herr Hillje, Sie haben in Ihren Veröffentlichungen immer wieder darauf hingewiesen, dass der Diskurs zum Klimawandel manipuliert wird. Was passiert hier?

Die kommunikativen Strategien gegen wirksamen Klimaschutz haben sich in den letzten Jahren verändert. Früher wurde der Klimawandel noch grundsätzlich infrage gestellt, heute soll Klimapolitik gezielt verzögert und verschleppt werden. Klimabremser sind gefährlicher als Klimaleugner, weil sie auf den ersten Blick den wissenschaftlichen Konsens des menschengemachten Klimawandels akzeptieren. Sie verbreiten dann aber gezielt bestimmte Mythen und Erzählungen, um eine Stimmung gegen jeglichen Klimaschutz zu schüren.

Was heißt das konkret?

Die Relativierer behaupten etwa, Deutschlands Anteil am Klimawandel sei zu vernachlässigen, das Klima habe sich schon immer verändert, die Klimapolitik stürze das Land in die Deindustralisierung und die Menschen in eine Klima-Armut, die Bundesregierung wolle eine Klimadiktatur errichten. Die verkehrte Welt in diesen Erzählungen: Die Klimapolitik, nicht die Klimakrise wird zur Bedrohung gemacht.

Kann man die Organisationen hinter den Aktionen ermitteln?

Ja, es gibt eine Klimabremserlobby. Das ist eine recht heterogene Koalition aus radikalen Parteien, alternativen Medien, wirtschaftlichen Verbänden und Einzelpersonen mit wissenschaftlichen Titeln oder publizistischem Hintergrund. Diese Akteure handeln nicht immer abgestimmt, aber sie verbreiten allesamt die genannten Narrative und erhöhen damit deren Resonanz in der Gesellschaft.

Lässt sich sagen, wer in Deutschland mit eingebunden ist?

Die AfD, rechtspopulistische Youtuber wie Julian Reichelt, einige Unternehmerverbände. Nun könnte man sagen, Reichweite und Einfluss dieser Akteure sind gering. Das Problem ist aber, dass zumindest einzelne Aspekte ihrer Erzählungen und Deutungen längst in etablierten Medien und Parteien angekommen sind. Zum Beispiel die einseitige Betonung der Kosten von Klimaschutz bei völliger Ignoranz der Kosten der Klimakrise. Oder eine naive Gläubigkeit an technologische Lösungen, die es heute entweder noch nicht gibt oder die vollkommen unökonomisch sind. Zuletzt gab es solche Phantomdebatten beim Heizen mit Wasserstoff oder den E-Fuels.

Ist das nicht eine notwendige Diskussion, die wir nun mal führen müssen?

Wir verlieren Zeit, die wir nicht haben. Es werden mit aller Kraft Strohmänner bekämpft, aber nicht die realen Probleme. Klimaschutz ist eine Effizienzaufgabe für die Demokratie. Je länger wir effektiven Klimaschutz verzögern, desto anstrengender, teurer und auch sozial ungerechter wird er. Auch die Klimapolitik der Bundesregierung scheitert heute noch zu oft daran, den Graben zwischen theoretischer Klimaschutz-Befürwortung von Menschen und ihrem tatsächlichem Klimaschutz-Verhalten zu überwinden. In der Verhaltensforschung spricht man von einem „Attitude-Behaviour-Gap“. Auch das haben wir gerade erst bei der Heizungsdebatte erlebt: Klimaschutz ja, aber nicht in meinem Heizungskeller – so ist ungefähr die Stimmung. Klimabremser versuchen diese Differenz zwischen Denken und Handeln gezielt auszweiten.

Welche Schutzmechanismen gibt es dagegen?

Klimapolitik und deren Kommunikation muss besser werden. Zunächst sollten wir nicht nur von Klimaschutz, sondern auch von Menschenschutz sprechen. Die rhetorische Entkopplung von Mensch und Umwelt führt auch zu einer mentalen Distanz zum Klimaschutz. Zudem sollte sich die Bundesregierung stärker damit auseinandersetzen, welche Faktoren zur Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen führen. Das sind Parameter wie Wissen, soziale Normen, Kosten, Machbarkeit und Effektivität. Mit Blick auf diese Kriterien ist die Debatte um den Heizungswechsel katastrophal gelaufen. Zentrale Fakten blieben wochenlang unklar, etwa die soziale Abfederung. Die Bild-Zeitung füllte dieses Vakuum mit Mythen und Angstmache. Die Belastung der Menschen wirkte monströs, die Entlastung blieb nebulös. Das Förderprogramm wurde erst bekanntgegeben, als sich eine Stimmung der Verunsicherung und Überforderung bereits durchgesetzt hatte. Die Lehre müsste sein: Be- und Entlastung müssen gemeinsam kommuniziert werden. Insgesamt sollte ein Gefühl von praktischer Machbarkeit und einem gewinnbringenden Wechsel statt verlustreichem Wegnehmen vermittelt werden.

Interview: Thomas Kaspar


Hier gelangen Sie zu dem Interview, das am 27.04.2023 in der „Frankfurter Rundschau“, erschienen ist.

Autor

Dr. Johannes Hillje ist Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Er berät Institutionen, Parteien, Politiker, Unternehmen und NGOs. Zur Europawahl 2014 arbeitete er als Wahlkampfmanager der Europäischen Grünen Partei. Zuvor war er im Kommunikationsbereich der UN in New York und in der heute.de-Redaktion des ZDF tätig.
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