Wie die Neue Rechte Geschichte instrumentalisiert, um Deutungshoheit über unsere Zukunft zu erhalten, das untersucht der Sammelband „Schleichend an die Macht“. Das Buch ist ab diese Woche im Handel verfügbar. Neben der Analyse ist es eine Aufforderung an Politik und Wissenschaft sowie Lehrkräfte und Zivilgesellschaft, dem Missbrauch der Geschichte entgegenzutreten.
Die Neue Rechte strebt in Europa an die Macht. Eine ihrer stärksten Strategien: die Instrumentalisierung von Geschichte, um ihre Weltsicht in den Köpfen der Menschen zu verankern. Mythen über die Nation, ihre Helden und Freiheitskämpfe sollen Nationalismus und völkisches Denken wieder gesellschaftsfähig machen. Das zeigt: Wir müssen um die Geschichte kämpfen, auf dass die liberalen Grundwerte unserer Gesellschaft eine Zukunft haben.
In Deutschland beschwört die AfD über 1000 Jahre glorreiches Deutschtum. In Italien inszeniert sich Matteo Salvini in der Tradition italienischer Freiheitskämpfer. In Ungarn will Viktor Orbán sein Land zu „historischer Größe“ zurückführen. Und auch in der Corona-Krise versucht die Neue Rechte eine Renaissance des Nationalismus als Lösung zu propagieren. Die völkische Illusion „sauberer“, homogener Gesellschaften soll zum politischen Konsens der Zukunft werden. Dieses Buch analysiert die Strategie der Neuen Rechten in Europa und fordert dazu auf, dem Missbrauch der Geschichte entgegenzutreten.
Das Buch „Schleichend an die Macht: Wie die Neue Rechte Geschichte instrumentalisiert, um Deutungshoheit über unsere Zukunft zu erhalten“ erschien diese Woche im Dietz Verlag und wird herausgegeben von den beiden Fellows beim Progressiven Zentrum Andreas Audretsch und Claudia Gatzka. Zudem enthält die Veröffentlichung Beiträge von Jürgen Kocka aus dem Wissenschaftlichen Beirat, von Fellow Hedwig Richter und von Paul Jürgensen aus dem Programmbereich „Zukunft der Demokratie“.
„Schleichend an die Macht“ in den Medien
Im Interview mit ZEIT Online haben die HerausgeberInnen über Strategien neurechter Bewegungen in der Corona-Krise gesprochen. Laut Andreas Audretsch sind viele Verschwörungstheorien eng mit neurechtem Gedankengut verknüpft und finden vor allem online Gehör:
Die neurechten Thesen streuen in den Kanälen mittlerweile sehr weit. Das Protestbiotop von Telegram-Kanälen ist äußerst vielfältig, es reicht von den Kanälen der Neuen Rechten bis zu denen vieler Verschwörungstheoretiker mit teils weit über 100.000 Mitgliedern, und die durchdringen und reproduzieren sich gegenseitig.
Im Interview mit SPIEGEL hat die Co-Autorin Claudia Gatzka mehrere Themen aufgegriffen, darunter das Verhältnis der Neuen Rechten zu Emanzipation und Frauenrechten, sowie zur Rolle des Islam als Lieblingsthema von (Rechts-)PopulistInnen. In ihrer Rolle als Historikerin äußerte sie sich zur Problematik der Politisierung von Geschichtswissenschaft, und antwortete auf die Frage ob es gute und schlechte Geschichtspolitik gäbe:
Die politischen Absichten lassen sich wissenschaftlich so nicht einteilen. Es wäre absurd anzunehmen, dass Brandt oder die SPD insgesamt die bessere Geschichtspolitik betrieben. Aber es gibt eine Geschichtspolitik, die sich näher am Forschungsstand orientiert.
In der Online-Zeitung vorwärts findet sich zudem eine Rezension des Buches: „Man ahnt nach der Lektüre dieses Buches, wie groß die Sehnsucht nach vermeintlich einfacheren Zeiten mit klaren Regeln noch werden könnte, wenn die Zeiten einmal schwieriger werden. Das ist ja stets das Rezept der Rechten gewesen: Die Vergangenheit wird verklärt, in der Gegenwart schürt man den Unmut all der Menschen, die sich vor Veränderungen ängstigen.“
Ein durch und durch lesenswertes Buch, das ganz ohne marktschreierische Töne auskommt!