Tag Archive for Soziale Mobilität
Seit langem gibt es in Deutschland weniger soziale Mobilität als in anderen industrialisierten Ländern, weniger soziale Aufstiege und weniger Abstiege. Betrachten wir die langfristige Entwicklung genauer. Die im Krieg oder unmittelbar danach in Deutschland Ost und West geborenen Generationen waren vergleichsweise mobil. Von den 1940 – 49 geborenen Männern konnten in Westdeutschland ca. 40 Prozent eine höhere Klassenposition erreichen als ihre Väter, während etwas weniger als 15 Prozent im Vergleich zu ihren Vätern abstiegen.
Sozialer Aufstieg ist praktische Chancengerechtigkeit. Welchen Sinn soll Chancengerechtigkeit sonst haben, wenn nicht diesen: die Zufälle der sozialen Herkunft nicht zum ausschlaggebenden Faktor für die Biographie eines Menschen werden zu lassen, sondern allen die Möglichkeit zu geben, aus eigener Kraft vorwärts zu kommen? Nirgendwo ist diese Idee so in die Aspirationen der Gesellschaft eingedrungen wie in den USA.
Es ist sicher kein Zufall, dass sich im Schatten der Finanzmarkt und Wirtschaftskrise, die seit dem Sommer 2008 die Nachrichten bestimmen, eine neue Debatte um die Zukunft des Sozialen andeutet. Dabei gewinnen derzeit zwei Denkansätze an Zulauf, die auf den ersten Blick geradezu unvereinbar zu sein scheinen. Da ist zum einen eine neue Egalitarismusdebatte, die zuletzt durch das Buch «The Spirit Level» der britischen Epidemiologen Richard Wilkinson und Kate Pickett befeuert wurde.
Nach wie vor ist der soziale Aufstieg für Migranten in Deutschland ein steiniger Weg, der zu selten gelingt. Dabei sind Migranten im Grunde Pioniere, vor allem dann, wenn sie die Entscheidung, ihre Heimat zu verlassen, freiwillig getroffen haben. Sie wagen einen Aufbruch in die Fremde, oftmals ohne Kenntnis der Sprache oder der kulturellen Umgangsformen. Sie bringen den Mut auf, ihrer gewohnten Umgebung den Rücken zu kehren und an einem anderen Ort neu anzufangen. Sie erwarten etwas von ihrem Leben, etwas, das besser sein soll als die Umstände, die sie verlassen, und sie sind bereit, dafür viel zu investieren.
„Der Fahrstuhl nach oben ist besetzt“, sang Hazy Osterwald, als die Bundesrepublik 1966/67 erstmals in eine Wirtschaftskrise rutschte. Kurz darauf stellte die Regierung Brandt Leitern für den sozialen Aufstieg bereit. Dasselbe ist heute wieder nötig.