Care-Arbeit und die (un-)endliche Kraft des Ehrenamtes: Potenziale und Grenzen des freiwilligen Engagements

Dritter Roundtable der Veranstaltungsreihe #CareKompass

Am 23. September 2019 luden Das Progressive Zentrum und das Deutsche Rote Kreuz zum Roundtable “Care-Arbeit und die (un-)endliche Kraft des Ehrenamtes: Potenziale und Grenzen des freiwilligen Engagements” ein. Fokus dieser dritten ExpertInnenrunde der Veranstaltungsreihe #CareKompass war die Gestaltung einer zukunftsfähigen Care-Landschaft in Hinblick auf die Rolle des Freiwilligen Engagements. Gemeinsam mit Martin Patzelt, Dr. sc. Eckhard Priller und Dr. Christoph Steegmans wurden wesentliche Entwicklungen, Motivationen und politische Gestaltungsmöglichkeiten sowie das Spannungsverhältnis zwischen Haupt- und Ehrenamt diskutiert.

Der Roundtable “Care-Arbeit und die (un-)endliche Kraft des Ehrenamtes: Potenziale und Grenzen des freiwilligen Engagements” analysierte die nötigen Bedingungen, um die Kapazitäten der Care-Arbeit durch ehrenamtlichen Einsatz zu erweitern sowie die bestehenden Hürden für freiwilliges Engagement in diesem Bereich. Hervorgehoben wurden insbesondere der Bedarf an differenzierten Motivationsstrategien und die Grenzen des politisches Gestaltungspotenzials zur Unterstützung von freiwillig Engagierten. Hinzukommend wurde die fehlende Abstimmung und Kommunikation zwischen Haupt- und Ehrenamt kritisiert. Unterstützt wurde die Diskussion durch Impulse von Martin PatzeltCDUAbgeordneter im Deutschen Bundestag sowie ordentliches Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. sc. Eckhard Priller, wissenschaftlicher Co-Direktor des Maecenata Instituts, und Dr. Christoph Steegmans, Unterabteilungsleiter Demokratie und Engagement im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Prof. Dr. Wolfgang Schroeder, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Progressiven Zentrums, moderierte die Veranstaltung.

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Entwicklung des freiwilligen Engagements 

Die Zahl der freiwilligen Engagierten hat sich in den letzten Jahren progressiv entwickelt. Priller verwies auf die Ergebnisse des letzten Freiwilligensurveys, welcher zeigt, dass in Deutschland mehr als 40% der über 14 Jährigen ehrenamtlich tätig sind – 15 Jahre zuvor waren es über 10% weniger. Er merkte jedoch an, dass sich zwar mehr Menschen engagieren, jedoch sinke die investierte Zeit sowie die Regelmäßigkeit der ausgeübten Tätigkeit. Er betonte, dass sich Jüngere wenig in sozialen Bereichen, wie der Care-Arbeit, engagierten. Stattdessen sei das Interesse an ökologischer oder sportbezogener Arbeit groß. Stegmans führte erläuternd aus, dass Engagement im Bereich Umwelt für junge Menschen attraktiver sei, da dessen Ergebnisse messbar seien: Gepflanzte Bäume oder sauberes Gewässer sind quantitativ erfassbar, “(…) es ist jedoch nicht messbar, wie oft eine Person, [aufgrund der geleisteten Care-Arbeit], mehr lacht (…)”. Außerdem sorge der vorherrschende neoliberale Ansatz in unserer Gesellschaft dafür, dass die Motivation steige, Tätigkeiten auszuüben, die der beruflichen Entwicklung dienten. Hinzukommend,  könnten sowohl der Ausbau thematisch sehr fokussierter Formate wie des Freiwilligen Ökologischen Jahres als auch die generelle Abschaffung des Zivildienstes in 2011 Ehrenamts-Engpässe in der Care-Landschaft unbewusst begünstigt haben. Dies ist insbesondere problematisch, da Deutschland in diesem Bereich auf freiwilliges Engagement angewiesen ist. Patzelt führte aus, dass Care-Arbeit immer weniger in familiären Strukturen verankert sei und deshalb als Dienstleistung angeboten werden müsse. Dies mache das Ehrenamt unverzichtbar. 

Motivationen und politische Gestaltungsmöglichkeiten 

Um das Engagement in der Care-Arbeit zu fördern, brauche es laut Priller  differenzierte Strategien. Insbesondere Jüngere müsse man anwerben werden, da aufgrund des demographischen Wandels auch die Engagierten immer älter werden. Es sei zu beobachten, dass insbesondere ältere Generationen sich in der Care-Arbeit für Ältere engagierten. Die Diskussion führte aus, dass Jüngeren effizientere und modernere Strukturen angeboten werden muss, auch im Hinblick auf die Digitalisierung der Care-Landschaft. Digitalisierung darf nicht nur genutzt werden, um bestehende Aktivitäten online auszuführen, sondern um zusätzliche Optionen zu schaffen. Technische Lösungen können zwar keine Zwischenmenschlichkeit ersetzen, nichtsdestotrotz, merkte ein Teilnehmer an, hätte auch die ältere Generation die Bereitschaft sich digital weiterzubilden. Da wo Angebote bereits bestünden würden diese auch angenommen. Jüngeren Menschen muss außerdem deutlich gemacht werden, wie sie mit ihrer Arbeit einen aktiven Einfluss ausüben können. Patzelt äußerte: “Wenn man heute Jugendliche gewinnen will, braucht man einen Spaßfaktor (…), [zum Beispiel durch] Gemeinschaftserlebnisse und Teamarbeit.”. Er fügte hinzu, dass auch eine stärkere Anerkennung für freiwillige Arbeit mitgedacht werden müsse. Die könne zum Beispiel durch einen autorisierten Nachweis der geleisteten Arbeit unterstützt werden – eine Methode, die in einigen Ländern bereits umgesetzt wird. Außerdem müssen die Möglichkeiten für Informationsaustausch und Kooperation verbessert werden. Darauf basierend wird die Bundesregierung, Steegmans zufolge, die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt ins Leben rufen. Dabei gehe ist nicht darum bereits bestehende Serviceangebote zu duplizieren, sondern diese zu koordinieren. Es wurde angemerkt, dass man stattdessen ebenso vorhandene Verbandsstrukturen hätte finanziell stärken können. Diese hätten bereits die Grundlagen, um Engagierte in Fragen der Bürokratie oder Professionalisierung zu unterstützen.  

Das politische Gestaltungspotenzial 

Diskutiert wurde auch die politische Gestaltungsmöglichkeiten für die Stärkung ehrenamtlichen Engagements. Priller schlug vor, dass die Einrichtung kleiner Pflegeeinrichtungen im ländlichen Raum, freiwilliges Engagement von Familien in diesen Gebieten erhöhen könnte. Dies würde außerdem laut Priller “zu steigendem Einwohnerzahlen, mehr Geld, einer verbesserten Infrastruktur und zu mehr Dienstleistungen im ländlichen Raum führen”. Steegmans merkte an, dass staatliche Steuerungsmöglichkeiten begrenzt seien. Ein gewisses Maß an Bürokratie sei jedoch nötig, um Schaden durch falsch geleistete Care-Arbeit zu verhindern. Patzelt erläuterte, dass die Politik jedoch nicht zu sehr eingreifen dürfe, da ein zu hohes Maß an bürokratischen Regularien die Ehrenamtsarbeit erschweren könne, die nun einmal auf Freiwilligkeit beruhe. Außerdem sei die finanzielle Frage der politischen Förderung nicht ausreichend geklärt. Ein Teilnehmer erläuterte, dass gerade verstärkter politischer Einfluss auf die Verteilung von Fördermitteln, bürokratische Hindernisse für die EhrenamtlerInnen bedeuten und mögliche Tätigkeitsfelder einschränken könne. Priller ergänzte, dass nichtsdestotrotz eine weitgehende Selbstregulierung des Ehrenamtes eine starke Förderung des Gemeinschaftsgedanken in der Gesellschaft bedürfe. Laut DiskussionsteilnehmerInnen sei zu beobachten, dass ehemals solidarisches Handeln sich in Richtung Monetarisierung verschiebe. Eine Stärkung des ehrenamtlichen Engagements sei wichtig und Demokratie fördernd, da EhrenamtlerInnen wüssten, dass gesellschaftliche Ziele Kompromisse benötigten. 

Die Spannung zwischen Haupt- und Ehrenamt

Für eine effektive Ausschöpfung des Ehrenamts-Potenzials in der Care-Arbeit ist die Kooperation zwischen Haupt- und Ehrenamt eine Schlüsselkomponente. Die Diskussion hob hervor, dass freiwilliges Engagement nicht nur aufgrund von Kapazitätsgrenzen des Hauptamtes nötig ist. Das Ehrenamt ist nicht als Lückenbüßer zu verstehen, da es Fähigkeiten besitzt, die das Hauptamt nicht abdecken kann – insbesondere im Hinblick auf Zwischenmenschlichkeiten. Hinzukommend sei laut Steegmans eine zunehmende Professionalisierung des Ehrenamtes zu beobachten. Es wurde angemerkt, dass das Ehrenamt nicht nach den Mängeln im Hauptamt gestaltet werden solle. Stattdessen, müsse man die Bedingungen und Strukturen des Hauptamtes verbessern. Danach sei zu analysieren was das Ehrenamt leisten möchte. Momentan besteht jedoch ein großes Spannungsverhältnis zwischen Haupt- und Ehrenamt. Patzelt erläuterte, dass eine Kooperation der beiden nötig sei, dass diese jedoch meist an einer effektiven Kommunikation scheitere. Er führte aus, dass Ärgernisse oft darauf beruhen, dass EhrenamtlerInnen, wie während des Spätsommers 2015, einsprängen und dann vom Hauptamt verdrängt würden.


Roundtable-Reihe #CareKompass

Die Roundtable-Reihe von Das Progressive Zentrum und dem Deutschen Roten Kreuz möchte zukunftsentscheidenden Fragen bezüglich des Strukturwandels der Care-Arbeit in Deutschland in drei konzentrierten Roundtable Sitzungen auf den Grund gehen. Basierend auf den Ergebnissen werden konkrete Handlungsempfehlungen für einen effektiven Wandel formuliert. Zum Jahresende soll eine Konferenz die konsolidierten Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen in die Öffentlichkeit und den politischen Raum tragen. 

Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden und dem Deutschen Roten Kreuz für einen anregenden und erkenntnisreichen Austausch und freuen uns auf den nächsten Roundtable. 

Autor:innen

Paulina Fröhlich

Stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin | Resiliente Demokratie
Paulina Fröhlich ist stellvertretende Geschäftsführerin und verantwortet den Schwerpunkt „Resiliente Demokratie“ des Berliner Think Tanks Das Progressive Zentrum. Dort entwirft sie Dialog- und Diskursräume, leitet die europäische Demokratiekonferenz „Innocracy“ und ist Co-Autorin von Studien und Discussion Papers.
Lara war von November 2018 bis Juni 2019 Trainee des Progressiven Zentrums im Bereich Internationale Beziehungen. Ihr Bachelorstudium absolvierte sie an der Uni Twente im Fach European Studies.
Friedrich W. Opitz war bis Oktober 2020 Projektassistent beim Progressiven Zentrum im Bereich Strukturwandel. Er beschäftigt sich mit Globaler Politischer Ökonomie und dem Zusammenspiel von Postindustrialismus und Rechtspopulismus.

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