Tag Archive for Bündnis 90/Die Grünen

Gut, dass der Wahlkampf künstlerisch und intellektuell doch noch an Fahrt aufnimmt: Engagierte Schauspieler wie Moritz Bleibtreu oder Jürgen Vogel werfen flächendeckend ihr Gewicht für McDonald’s in die Waagschale. Einem Konzern, der weltweit immer wieder für Massentierhaltung, Umwelt-Zerstörung und Dumping-Löhne angeprangert wird.
Profilierte Fernseh-Intellektuelle sehen ihre Aufgabe darin, die Bürgerinnen und Bürger für die Option des Nichtwählens zu sensibilisieren. Für Richard David Precht ist „die Wahl zwischen Wählen und Nichtwählen nicht wirklich wichtig“. Nach Peter Sloterdijk ist unter den etablierten Parteien „im Augenblick schlechthin keine wählbar“. Und für Ernst-W. Händler bedeutet die Stimme für eine Partei „nicht nur einen Charakterfehler in Kauf zu nehmen, sondern sich bewusst für ihn zu entscheiden.“ In einer Umfrage der ZEIT gibt es unter 48 namhaften KünstlerInnen und Intellektuellen eine absolute Mehrheit von sagenhaften 58,3%, die nicht bereit ist, eine bestimmte Wahlpräferenz in der Sache zu argumentieren. Davon kann selbst die CSU nur träumen.
Ein Teil unserer öffentlichen Intellektuellen wirkt wie Öl im Getriebe der Merkelschen Demobilisierungsmaschine
Man will lachen und weinen zugleich. Denn einerseits ist es ja beruhigend und mitunter komisch anzuschauen, dass KünstlerInnen und Intellektuelle – frei nach Martin Kippenberger – auch nur Menschen sind, mal klug, mal dumm, mal empathisch, mal bösartig. Andererseits ist die politische Haltung, die sich hier offenbart, gleich aus einer ganzen Reihe von Gründen ein so süßes wie gefährliches Gift, dass wir ihr deutlich entgegentreten sollten.
Dabei ist es noch eine vergleichsweise kleine Dummheit, sich zum Öl im Getriebe der Merkelschen Demobilisierungsmaschine machen zu lassen. Denn natürlich nutzt jede nicht geführte Kontroverse, jede verweigerte Auseinandersetzung im Wahlkampf der herrschenden Regierungskonstellation. Warum sollte man etwas ändern, wenn doch eh alles egal ist?
Das führt auf einen zweiten, tiefer liegenden Punkt: Die Behauptung, bei dieser Wahl stünde nichts zur Wahl, ginge es nicht um grundlegende Entscheidungen, zeugt von einem unfassbaren Desinteresse an den realen politischen Verhältnissen. So sehr wir uns von den Parteien – auch von SPD und Grünen – noch mehr an Klarheit in Grundsätzen, Analyse und Vorschlägen wünschen, so klar ist doch, wo die entscheidenden Alternativen liegen, die von den Parteien formuliert werden: Sind wir bereit, in unsere öffentlichen Institutionen, in den gemeinsamen öffentlichen Raum, zu investieren? Sind wir bereit, für öffentliche Haushalte zu sorgen, die dazu in der Lage sind? Sind wir bereit, Schritte hin zu einer ökologischen Industriepolitik zu gehen, die unseren Wohlstand auf eine klimaverträgliche Basis stellt? Kämpfen wir für eine Energiewende, die unseren Strom klimaverträglich und bezahlbar macht? Alles egal? Nicht so wichtig?
Das Desinteresse an Parteien und ihren Positionen ist anti-demokratisch
Das Beunruhigendste an dem wachsenden Anti-Parteien-Populismus ist, dass er – bewusst oder unbewusst – tiefe Wurzeln in einer anti-demokratischen Grundhaltung hat, die in Deutschland auf eine lange (auch intellektuelle) Geschichte zurückweist. An die Politik und ihre Akteure werden Heilserwartungen herangetragen, die nicht nur zwangsläufig zu Demokratieverdruss führen müssen, sondern die darüber hinaus völlig verkennen, dass man als BürgerIn selbst das politische Subjekt ist, auf das es in der Demokratie ankommt. Und so ist man furchtbar enttäuscht, dass man den eigenen politischen Leerlauf von „gewaltigen Herausforderungen“ und „Zukunftsvisionen“ (Precht) halt auch in der Sprache der PolitikerInnen wiederfindet.
Hier lebt eine intellektuelle Tradition in der Bundesrepublik fort, die Politik letztlich für ein “schmutziges Geschäft” hält, von dem Ansteckungsgefahr droht. Auf dass die reine Vernunft nicht durch die politische Praxis kontaminiert werde. Worst Case: Mit einer Partei in Verbindung gebracht zu werden. Ob diese Berührungsangst dann im konkreten Fall zur Abschottung führt, oder – in einer Art Übersprungshandlung – zum “ganz Anderen” bzw. zur bloßen “Negation”: In beiden Fällen ist sie für die konkreten Orientierungsdebatten einer demokratischen Öffentlichkeit nicht genießbar.
Natürlich kann man die etablierten Parteien nicht nur kritisieren, man muss es. Das betrifft die Art ihrer internen Willensbildung ebenso wie ihre mangelnde Kraft zur politischen Orientierung, Repräsentation und Auseinandersetzung nach außen. Eine Erneuerung unserer Parteiendemokratie steht ohne Zweifel an. Aber: Natürlich gibt es auch hier sehr große Unterschiede im Parteienangebot. Jeder, der sich auch nur einmal die Mühe gemacht hat, Parteitage etwa von Grünen und CDU zu vergleichen, weiß, wie groß die Unterschiede sind: Während im einen Fall drei Tage unter großer Beteiligung um Positionen gerungen wird, wird im anderen Fall das ganze Programm in zwei Stunden geräuschlos durch gewunken. Während man im einen Fall zu gesellschaftlich strittigen Fragen wie Steuer- oder Umweltpolitik eine Position einnimmt (und dafür Prügel kassiert), besteht die Strategie im anderen Fall allein darin, Positionen zu vermeiden, sich unangreifbar zu machen. Alles egal? Für unsere Demokratie kein Unterschied? Ein „differenzloses Feld“ (Miriam Meckel)?
Wir haben die Wahl! Parteien unterscheiden sich unübersehbar in ihren Politikangeboten
Auch hier verweist die angebliche Indifferenz der Politik nur auf die eigene Interesselosigkeit an der politischen Praxis. Es mag ja sein, dass man zeitlich damit vollständig ausgelastet ist, die eigenen Projekte am Laufen zu halten. All die Bestseller müssen ja geschrieben, all die Medienauftritte absolviert werden. Aber wenn man auch im Wahlkampf nicht die Zeit findet, genauer auf die Parteien zu schauen und ihre Unterschiede zu erkennen, wäre es ein Zeichen von intellektueller Souveränität, sich einfach mal rauszunehmen – anstatt auch hier auf der gefühligen (und zugleich demokratieschädigenden) Welle zu surfen.
Gerade in Zeiten des Lobbyismus und der Medienkrise sind Parteien in ihrer demokratischen Funktion aktueller denn je. Oder wollen wir die Wahlalternativen zukünftig dem ADAC und die BILD-Zeitung überantworten? Parteien sind Orte, an denen sich so etwas wie Interpretationen vom Gemeinwohl und der Streit zwischen ihnen überhaupt organisieren kann. Sie sind Transformationsriemen zwischen Gesellschaft und Institutionen, zwischen Partikularität und Universalität. Dort, wo wir den Eindruck haben, dass sie dieser Aufgabe nicht nachkommen, sollten wir uns einmischen, ihnen auf die Sprünge helfen – anstatt sie weiter zu demontieren. Zumindest ein Teil der Parteienkritik muss sich fragen lassen, ob es ihr wirklich um mehr Demokratie geht, oder nicht eher um den populistischen Unwillen, sich auf die Komplikationen und auch die Langsamkeit demokratischer Prozesse einzulassen.
Aus all diesen Gründen ist es keine Phrase, sondern ein notwendiger politischer Akt: Geht am 22. September wählen! Nehmt die Verantwortung wahr, mit Grünen und SPD gemeinsam der Alternative zur Mehrheit zu verhelfen, die es in sozialer und ökologischer, in ökonomischer und gesellschaftspolitischer Hinsicht gibt!
TIAA! There Is An Alternative! (Und alle, die daran arbeiten wollen, dass diese noch deutlicher wird, sind herzlich eingeladen).
Peter Siller ist Leitender Redakteur der Zeitschrift polar – Magazin für politische Theorie und Kultur. Er gehörte zusammen mit Tobias Dürr, Hubertus Heil und Kerstin Andreae zu den Initiatoren von #bewegungjetzt.
Wie sind die bayerischen Parteien kurz vor der Landtagswahl aufgestellt? Wie sind ihre Chancen bei der Wahl? Welche Lehren kann man aus dem Wahlkampf ziehen? Diese und andere Fragen beantwortet Prof. Dr. Manuela Glaab in ihrer umfassenden Analyse.
Er hat die Postdemokratie erfunden und ist einer der scharfsinnigsten Kritiker des Neoliberalismus. In seinem neuen Buch „Jenseits des Neoliberalismus. Ein Plädoyer für soziale Gerechtigkeit“ fordert er eine „durchsetzungsfähige Sozialdemokratie“. Im Gespräch mit Fabian Heppe und Marius Mühlhausen spricht Colin Crouch über die Bundestagswahl und die Notwendigkeit einer rot-grünen Bundesregierung.

Rot-Grünes Manifest als Anfangsimpuls
Die vier InitiatorInnen von #bewegungjetzt, die Publizisten Tobias Dürr und Peter Siller sowie die beiden Bundestagsabgeordneten Hubertus Heil und Kerstin Andreae, präsentierten zunächst ein rot-grünes Manifest mit dem Titel „Zeit, dass sich was bewegt“. „Deutschland braucht nach Jahren des politischen Stillstandes endlich wieder Bewegung und einen echten politischen Neuanfang. dürr neuEs geht um ein neues Miteinander, um eine andere Politik: „gerechter, moderner, nachhaltiger“, so Tobias Dürr in seiner kurzen Begrüßungsansprache. Rot-Grün ist für die InitiatorInnen aber auch eine Frage der demokratischen Haltung. Peter Siller forderte in seiner Ansprache dazu auf: „jetzt gemeinsam in das Spiel einzugreifen anstatt am Rand zu stehen und über das Ergebnis zu spekulieren. Zeigen wir, dass die Merkelsche Taktik der Demobilisierung nicht hinhaut.“
„Überlassen wir den Wahlkampf nicht den Demoskopen“
Zu den ErstunterzeichnerInnen des knapp 10-seitigen Manifests gehören insgesamt 70 PolitikerInnen, Kulturschaffende und Intellektuelle. Die Initiatoren machten deutlich, dass dasManifest die programmatische Grundlage und gleichzeitig einen entscheidenden Anfangsimpuls darstelle. So gehe es in den kommenden Wochen bis zur Bundestagswahl darum „gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern zu bewegen und zu mobilisieren. Überlassen wir den Wahlkampf nicht den Demoskopen.“ Mit diesen kämpferischen Worten beendete Hubertus Heil die Kurzansprache der InitiatorInnen.
Dass der politische Wille für einen rot-grünen Aufbruch auch in der Führung von Parteien und Fraktionen stark ist, zeigten auch die anschließenden Redebeiträge von Kathrin Göring-Eckhard, Frank-Walter Steinmeier, Jürgen Trittin und viele andere.
Die gemeinsame Grundbotschaft aller Beiträge des rot-grünen Spitzenpersonals: Rot-Grün ist weit mehr als eine Zweckgemeinschaft, es ist ein gesellschaftlich notwendiges Bündnis. Rot-Grün steht für ein neues Politikangebot, einen neuen Politikstil. Und: Eine rot-grüne Mehrheit ist möglich – muss aber auch hart erkämpft werden.
Weit über den Erwartungen
Dass erfolgreiches Kämpfen und Gewinnen nur gemeinsam mit vielen tafelrot-grünen Mitstreiterinnen und Mitstreitern im ganzen Land möglich ist, unterstrich Kerstin Andreae nochmal in ihrem leidenschaftlichen Schlussappell: „Es geht um viel am 22. September. Alle sind aufgerufen und herzlich eingeladen, sich der Initiative #bewegungjetzt anzuschließen und sich so für den Neuanfang stark zu machen. Rausreden kann sich keiner.“
Pünktlich um 21 Uhr wurde dann die Website bewegungjetzt.de freigeschaltet. Die Erwartungen wurden weit übertroffen: Noch am selben Abend besuchten über 1000 Neugierige die Homepage, bereits in den ersten Stunden konnten einige Hundert Unterstützer verzeichnet werden.
In den Umfragewerten zeigt sich: Rot-Grün muss noch ein gutes Stück aufholen. Dies ist zu schaffen – auch mit Hilfe der guten Beispiele aus den Ländern. In vielen Bundesländern arbeiten rot-grüne Regierungskoalitionen bereits erfolgreich zusammen. Hier entsteht gerade „Rot-Grün 2.0“ – getragen von Augenhöhe, Schaffenskraft und einem neuen Spirit, „etwas in Bewegung zu setzen“ und „voranzubringen“.
Nerves were raw and tensions were high following the swift break-up of coalition talks between the social democratic SPD and the Green party in the state of Berlin this month.
The debate doing the rounds in the German media is which social democratic frontrunner would do best in the 2013 federal elections. Fancied are former finance minister Peer Steinbrück and the head of the SPD parliamentary group Frank-Walter Steinmeier – with party chairman Sigmar Gabriel seen by many as to erratic for the job as chancellor.
The significant fall of Merkel’s CDU in Baden-Württemberg marked a resounding success for the Green party. How should the SPD respond to this political shift?
Peter Struck eröffnet aufschlussreiche Einblicke ins Innere der Ära Schröder
Thorsten Arndt fasst die Podiumsdiskussion zusammen, die das Progressive Zentrum mit der Heinrich-Böll-Stiftung organisierte: Werden die Sozialdemokraten und die Grünen bei der Bundestagswahl erneut mit einem rot-grünen „Projekt“ antreten, indem sie sich eine tiefgreifende ökologische Wirtschaftspolitik auf die Wahlkampfbanner schreiben? Die Zeichen stehen auf den ersten Blick gar nicht schlecht, ist doch die in weiten Teilen der Gesellschaft wachsende Skepsis gegenüber dem westlichen Wachstumsmodell mittlerweile auch im Bundestag angekommen.
Wer Schwarz-Gelb ablösen will, muss finanziell solide arbeiten. Das bedeutet schmerzhafte Prioritätensetzung. Die Bundesregierung steht trotz konjunkturellem Aufschwung und sinkenden Arbeitslosenzahlen mit dem Rücken zur Wand. In keiner Umfrage hat Schwarz-Gelb eine Mehrheit, die Bundesratsmehrheit ist dahin, im März geht vielleicht die Hochburg Baden-Württemberg verloren. Schwarz-Gelb ist gefühlt schon am Ende.
Bei der mühevollen Koalitions- und Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen gab es Mitte Juni 2010 eine bemerkenswerte Woche der Rat- und Orientierungslosigkeit. Mit dem Wahlergebnis vom 9. Mai konnten CDU und FDP ihre Koalition nicht fortsetzen. Aber auch SPD und Grüne erreichten, wie sich am Ende einer langen Wahlnacht voller Hoffnungen herausstellte, mit 90 von 181 Sitzen keine parlamentarische Mehrheit im Düsseldorfer Landtag. Eine Alternative war nicht vorbereitet, es musste sondiert werden.
Vorweg: Es ist äußerst erfreulich, dass Tarek Al-Wazir gleich am Anfang seines Beitrages die Realität des Fünf-Parteien-Systems anerkennt und dementsprechend eine durchaus interessante Analyse und Einschätzung zu Perspektiven von möglichen bzw. unmöglichen Regierungskonstellationen anstellt. Das ist im rotgrünen Spektrum, insbesondere was deren Führungen angeht, keine Selbstverständlichkeit gewesen in den letzten Jahren: Dort war eher der Wunsch vorherrschend, DIE LINKE möge wieder von der politischen Bildfläche verschwinden. Dieser (irrationale) Leitfaden einer Strategie gegen DIE LINKE ist gescheitert.
Die Bundestagswahl 2009 und die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai 2010 haben deutlich gemacht: In Deutschland hat sich mit dem Einzug der Linkspartei in die meisten westdeutschen Länderparlamente und dem erneuten Einzug in den Bundestag zumindest für absehbare Zeit ein Fünf-Parteien-System etabliert. Auch unter solchen Bedingungen kann eine der „klassischen“ Zwei-Parteien-Koalitionen, in diesem Fall Schwarz-Gelb, eine Mehrheit erringen, wie die letzte Bundestagswahl bewies.
Die verdrängte Relevanz des Amtes
Lange schon hat man Sozialdemokraten und Grüne nicht mehr so selbstbewusst gesehen wie im Frühsommer 2010. Der Niedergang der Bundesregierung ist dramatisch, und langsam keimt bei den Akteuren die Hoffnung auf, dass das einstige gemeinsame „Projekt“ auch ohne die Linkspartei wieder eine Zukunft haben könnte. Zwei Ereignisse haben den neuen rot-grünen Honeymoon besonders beschwingt: Erstens haben SPD und Grüne der Union mit der Regierungsübernahme in Nordrhein-Westfalen zum ersten Mal seit 1991 wieder ein westdeutsches Flächenland abgenommen. Hinzu kam zweitens der raffinierte Coup, Joachim Gauck als gemeinsamen Kandidaten bei der Bundespräsidentenwahl zu präsentieren.
Viele Jahrzehnte galt das deutsche Parteiensystem als hyperstabil, und diese Stabilität ver-dankte sich in erster Linie der Rolle der Volksparteien, die auf dem Zenit ihrer Integrations- und Bindungsfähigkeit Anfang der 1970er Jahre mehr als 90 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnten.
Eine zeitgemäße Aufnahme der Crossover-Idee muss die alten Zöpfe der Mitte-Links-Regierungen der neunziger Jahre abschneiden. Die Neue Mitte, ordoliberale „Balance“ zwischen Markt und Staat, Drangsalierung der Erwerbslosen, aktivierende Sozialpolitik – all das ist zu Recht diskreditiert und gescheitert. Im Mittelpunkt der aktuellen Crossover-Diskussion muss die Frage stehen, wie das linke Lager eine wirkliche Reformperspektive (Energiewende, demokratischer Sozialstaat, friedliche Außenpolitik) entwickeln kann, die Grundlage für die Konstitution eines gesellschaftlichen Lagers ist, das einem Postneoliberalismus den Weg bereitet.
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen „Ökologie“ auf der einen und Kapitalismus auf der anderen Seite ist natürlich ebenso wenig neu, wie die nach der Form einer möglichen „grünen“ Wirtschaft. Konzeptionen eines grünen Kapitalismus wurden seit den siebziger Jahren in verschiedenen Gewändern auf den relevanten intellektuellen und parteipolitischen Laufstegen präsentiert. So wie die ökonomischen Moden sich veränderten, so kleideten sich auch diese Entwürfe mehrmals neu. Spätestens mit der Epochenwende von 1989 brachen diejenigen Diskussionen jedoch abrupt ab, die auf eine tiefgreifende industrielle Konversion der Ökonomie jenseits des Marktes zielten.
Die Kritik am Grünen Kapitalismus, die Stephan Kaufmann und Tadzio Müller in ihrem Buch formulieren, hat Hand und Fuß: Der Wechsel vom Benziner zum Elektromobil, von der Ölheizung zum Pelletofen, reicht nicht aus. Die derzeitige kapitalistische Wirtschaft ist zu tief in der Sackgasse, als dass es mit Detailveränderungen getan wäre. Die Kritik von Kaufmann und Müller am Grünen New Deal dagegen geht völlig daneben. Die Autoren ignorieren zwei Drittel des Projekts und behaupten dann, es greife zu kurz.
Drei Monate nach der Bundestagswahl ist der Kater immer noch spürbar. Das Land war des Stillstands unter der Großen Koalition müde und wollte einen Wechsel. Und aus Mangel an Alternativen und einem moderat angehauchten Verlobungswahlkampf von Schwarz-Gelb wurde es, was wir nun seit einigen Wochen erleben: eine zerstrittene, nach rückwärts gewandte Reformpolitik.