„Ich hoffe, dass ihr den Film gut verdaut“, wünscht Paulina Fröhlich, stellvertretende Geschäftsführerin des Progressiven Zentrums und Leiterin des Schwerpunkts Resiliente Demokratie, den Zuschauern im vollen Saal des Moviemento Kinos in Kreuzberg zur Begrüßung.
Was das Publikum dann sieht, sind rund 80 Minuten geballter Rechtsextremismus, der tief blicken lässt: angefangen mit der Geschichte zweier ehemaliger Neonazis, über den Aufstieg öffentlichkeitswirksamer Figuren wie Björn Höcke und Éric Zemmour und Parteien wie Vlaamsch Nationaal Verbond bis hin zum Alltag zersplitterter gewalttätiger Neonazi-Gruppen in Lyon und AfD-Wahlkämpfern im thüringischen Sonneberg. Der Film „White Power: Europas Rechtsextreme“ zeigt das fremdenfeindliche Ökosystem in Deutschland, Belgien und Frankreich und bringt beängstigende ideologische wie auch personelle Zusammenhänge zum Vorschein. Denn die Schlägertypen und anzugtragenden Ideologen teilen ein Feindbild – ursprünglich Jüd:innen, heute muslimische Migrant:innen – mit dem sie wortwörtlich Angst und Schrecken verbreiten; sie verwenden den gleichen verschwörungstheoretischen Kampfbegriff des „großen Austauschs“ und propagieren die gleiche „Lösung“ für dieses „Problem“. Und: Sie sind alle miteinander vernetzt.
Unterschätzte Relevanz
Und tatsächlich ist die Stimmung im dunklen Kinosaal gedrückt, als der Film mit dem Satz „Wir schreiben das Jahr 2024 und Europa steht an einem Scheideweg“ endet. Diesen Scheideweg beleuchten der Regisseur des Films, Christophe Cotteret, sein journalistischer Begleiter Jakob Preuss und Rima Hanano vom Netzwerk CLAIM, das muslimische und nichtmuslimische Organisationen und Projekte der Zivilgesellschaft vereint, in der anschließenden Diskussion – und bringen dabei weniger Licht in die dunkle, schwere Saal-Stimmung als das Publikum an dieser Stelle vielleicht gehofft hatte.
„Die Ansicht, die AfD sei wie die CDU der 1980er, ist falsch. Wir sind hier in einer großen Gefahr, die man gar nicht übertreiben kann“, betont Jakob Preuss. Auch er selbst habe die Relevanz des Themas unterschätzt, als sein Freund und Bekannter Christophe Cotteret mit der Idee zum Film auf ihn zukam. Mit Rechten reden? Das würde Preuss in einer Talkshow nie tun. Aber das Format eines Dokumentarfilms biete mehr: Einbettung und Kontextualisierung, das sei ihm wichtig. So traf er sich für den Film mit Höcke, Sellner, Kubitschek und Co. zum Gespräch – was auch an diesem Abend für Diskussionen sorgte.
Wissen, mit wem man es zu tun hat
„Das macht mich wütend“, meldet sich eine junge Frau aus dem Publikum im anschließenden Gespräch zu Wort, „dass hier lupenreine Rechtsextremisten und ihre ‘Remigrations’-Fantasien zu Wort kommen und denen im Film eine Plattform geboten wird!“ Wie man zu einer solchen Entscheidung komme, frage sie sich.
Regisseur Cotteret erklärt: „Natürlich wollte ich das Wort zunächst nicht den Rechtsextremen überlassen. Ich wollte ihnen nicht die Tribüne geben, aber ich muss zeigen, worum es geht, wie extrem sie eigentlich sind, wie sie ticken.“ Ohne O-Töne hätte der Film vermutlich das Thema verfehlt. Für ihn sei es wichtig gewesen, von ihnen selbst zu hören, wie sie denken, was sie verbindet. Der Film liefere die Beweise, dass Rechtsextreme sich verändert haben. Eine der Erkenntnisse seiner Arbeit sei neben der systematischen Vernetzung der Akteure, dass es in extremistischen Kreisen immer die drei gleichen Gruppen gebe: die 10 Prozent Ideologen und Vordenker, die stark Gewaltbereiten, ebenfalls etwa 10 Prozent, sowie 80 Prozent Follower – bei denen man ansetzen sollte im Kampf gegen Rechtsextremismus. Die im Film porträtierten Aussteiger hätten sich und ihren Hass gegen andere in Gefängnisaufenthalten und dadurch ermöglichte Gespräche mit Sozialarbeiter:innen und Psycholog:innen begonnen, in Frage zu stellen.
Immer mehr Follower
Wie extrem sich rechtes Gedankengut, aber auch tätliche Formen von Hass und Hetze gegen Minderheiten, in Deutschland gerade verbreiten, macht Rima Hanano auf Nachfrage von Moderatorin Luise Kschenka anhand aktueller Zahlen deutlich: „Wir erleben eine massive Erweiterung der Gefahrenzone für queere, jüdische, muslimisch, geflüchtete Menschen. Ein wesentlicher Anteil kommt von Rechts: von 2022 bis 2023 gab es einen Anstieg islamfeindlicher Straftaten von 114 Prozent.“ Ein Großteil der Straftaten, darunter nicht-tätliche Diskriminierung, aber auch Tötungsversuche und körperliche Angriffe, würden den Sicherheitsbehörden dabei gar nicht gemeldet, denn auch ihnen gegenüber gebe es Misstrauen seitens der Betroffenen. Dieser – insbesondere antimuslimische – Rassismus sei die zentrale Position der AfD und der extremen Rechten, den sie über Diskurse zu Integration, Migration und Asyl in die Gesellschaft bringe. Rassistische Narrative wie „Unintegrierbarkeit“ und „Parallelwelten“ grassierten seither schamlos in der Bevölkerung.
Die Politik rückt nach rechts
Und nicht nur dort weht derzeit ein zunehmend rauer, feindseliger Wind. Verschärfte Grenzkontrollen, Abschiebungen, Wahlkampf mit dem Thema Migration: Die Politik verschärft ihren Kurs – und spielt der menschenverachtenden AfD so direkt in die Hände. „Was Merz sagt zu Abschiebungen ist nah an dem, was Höcke sagt; Höcke weiß, die Leute sind nicht blöd, sie werden das Original – die AfD – wählen. Die Übernahme rechter Rhetorik ist also auch aus strategischer Sicht ein Desaster“, merkt Preuss an. „Ist Rechts die neue Mitte?“, fragt es aus dem Publikum. „Natürlich ist es jetzt in der Mitte angekommen“, antwortet Preuss und mahnt: „Wir sollten nicht der Versuchung erliegen, Rechtsextremismus ‚entzaubern‘ zu wollen, das ist gefährlich.“ Aber welche Mittel braucht es dann?
Anerkennung, Finanzierung und eine Vision
„Es braucht zunächst die Anerkennung, dass es Rassismus gibt, und das Verständnis, was genau das ist – vor allem antimuslimischer Rassismus“, sagt Hanano. Wichtig sei auch eine nachhaltige Stärkung der Zivilgesellschaft, vom Sportverein bis zur Gewerkschaft. Meint: eine langfristige Finanzierung, die in ihrem Umfang dem Problem gerecht wird. Und zu guter Letzt: „Ich würde mir seitens der Politik eine Vision wünschen; eine, die zeigt, wie Probleme angegangen werden, statt sie auf Migrant:innen zu schieben.“ Manchmal liegt die Lösung auch in greifbarer Nähe; Preuss appelliert: „Gegenhalten und auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Viele Zahlen – etwa zu Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen oder Strafdelikten – sind falsch. Das bleibt fast unwidersprochen. Hier wird ein Gefühl der Unsicherheit geschürt, das weit weg von der Realität ist.“
Real hingegen ist – und das wird dank Christophe Cotterets Dokumentation deutlicher – der Rechtsextremismus ist da. Die Gefahr, die von ihm ausgeht, ist systematisch, stark vernetzt und schwelt europaweit – vom Wahlkampfstand am Marktplatz bis in die Parlamente hinein. Das liegt schwer im Magen an diesem Abend im Moviemento Kino, darf uns als demokratische Gesellschaft aber nicht lähmen. Es geht darum, aktiv zu werden und die Zivilgesellschaft zu fördern, um potenzielle Opfer von Fremdenhass – und dazu zählt auch unser politisches System – zu schützen.
Im Rahmen der Veranstaltung haben wir einen kleinen Schritt dafür getan: mit einer Spendenaktion für Polylux, die sich übergreifend für Initiativen gegen Rechts in Ostdeutschland einsetzt. Vielen Dank allen Spenderinnen und Spendern. Mehr Informationen zur Initiative.