Menschen befähigen, Wirtschaft stärken: Eine Erneuerung von Teilhabe am Arbeitsleben

Neue Wege zu inklusivem Wachstum: Impulse für die soziale Marktwirtschaft von morgen

Am 11. Dezember 2017 fand der vierte und somit letzte Roundtable der Projektreihe “Neue Wege zu inklusivem Wachstum: Impulse für die soziale Marktwirtschaft von morgen” statt. Dieser stand unter der Überschrift “Menschen befähigen, Wirtschaft stärken: Eine Erneuerung von Teilhabe am Arbeitsleben”. Hierzu diskutierten VertreterInnen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik miteinander und es ergab sich eine angeregte Debatte.

Eröffnet wurde die Veranstaltung von Dominic Schwickert, Geschäftsführer des Progressiven Zentrums. Nach einigen begrüßenden Worten leitete Charlotte Lauer, Referatsleiterin “Wirtschaftspolitische Fragen des Arbeitsmarktes und der Sozialordnung” beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit einem ersten Impuls in die Diskussion ein. Sie betonte dabei besonders die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Geringqualifizierten auf dem Arbeitsmarkt und sprach damit einhergehend die Langzeitprobleme Gender Pay Gap, (Weiter-)Bildung, Digitalisierung und neue Kompetenzvermittlung an. Moderiert wurde anschließend die Diskussion von Max Neufeind, Policy Fellow des Progressiven Zentrums.

Die Hauptimpulse für die Diskussion kamen von Werner Eichhorst, Direktor im Bereich Arbeitsmarktpolitik Europa am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) und Thomas Sattelberger, Mitglied des Bundestages und der FDP-Bundestagsfraktion. Die darauf folgenden Kurzinterventionen kamen von Georgia Palmer, Pressesekretärin und Mitglied der Tarifkommission der Freien Arbeiter- und Arbeiterinnenunion Berlin und Marco Puxi, Leiter des Berliner Büros vom Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik. Die Debatte wurde am Veranstaltungsende von Wolfgang Schroeder, Professor für Politikwissenschaft der Universität Kassel und Mitglied der DenkerInnenrunde Inklusives Wachstum des Progressiven Zentrums und der Bertelsmann Stiftung, zusammengefasst und an das Projektthema Inklusives Wachstum zurückgebunden.

Qualität vs. Quantität

Aus dieser vielseitigen Runde ergab sich eine sehr vielschichtige Debatte, die die Fülle an Aspekten, die es zu diskutieren gibt, offenbarte. Zunächst ging es um die insgesamt erhöhte Erwerbsbeteiligung am Arbeitsmarkt. Während sich dieser Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren geöffnet habe, sei es jedoch primär zu einer stärker quantitativen und nicht zwangsläufig zu einer qualitativen Beteiligung gekommen. Die erhöhte Beschäftigung der vergangenen Jahre habe bislang noch nicht zu der erhofften Gleichberechtigung geführt. Solle der Mensch im Vordergrund stehen und nicht der Gewinn, so müsse man hier ansetzen, besonders was den neu entstandenen und im internationalen Vergleich recht großen Niedriglohnsektor anbelange.

Ein weiterer prägnanter Gesichtspunkt der Diskussion waren der technologische Wandel und die damit einhergehende Entwicklung unserer Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Viele manuelle Jobs seien hierdurch bereits weggefallen, ein neues Dienstleistungsprekariat tue sich auf. Die Digitalisierung erfordere zudem immer breitere “Skillshifts” innerhalb der arbeitenden Bevölkerung und ein “re-skilling” von Menschen in beinahe allen Berufen, um die neu entstandenen Wertschöpfungsketten voll nutzen zu können. Gleichzeitig bringe dieser Wandel neue Lebensmodelle und Geschäftsmodelle mit sich, wodurch die Erwerbsmodelle des Arbeitslebens neu definiert werden müssen und es neuer politischer Rahmenbedingungen bedarf. Das Ziel des technologischen Wandels müsse es am Ende sein, Wachstum mit einer hohen Lebensqualität zu verbinden.

Einhergehend mit den technologischen Neuerungen verzeichnen wir einen Strukturwandel, der aktuell in allen Sektoren des Arbeitslebens ansetze. Bislang konnten noch nicht alle daran teilhaben und die Trennlinien, zwischen den “Gewinnern” und “Verlieren” in der Gesellschaft hätten sich verschoben. Sie befänden sich nun zwischen denjenigen, die mit dem Wandel mitkommen und denjenigen, die sich abgehängt fühlen.

Möglichkeiten und Pflichten der Ausbildung

Ein weiteres Thema waren Qualifizierung und Ausbildung. Bildung sorge in allen Volkswirtschaften für eine bessere Wertschöpfung von Arbeitspotenzial und müsse daher flächendeckender greifen. Es müsse mehr investiert werden, um das Humankapital unserer Gesellschaft voll nutzen zu können. Neue Ausbildungen sollten geschaffen werden, um angelernten Arbeitern, Schulabbrechern oder Langzeitarbeitslosen neue Möglichkeiten zu eröffnen. Zudem müsse das “matching problem” angegangen werden und das Potenzial was wir haben, gekoppelt werden mit dem, was am Arbeitsmarkt benötigt wird. Der Fokus dürfe nicht nur auf der Akademisierung unserer Gesellschaft liegen sondern darauf, die Sektoren der niedrigeren Löhne zu reformieren und berufliche Spitzenausbildungen mit Forschung zu verzahnen.

Neben diesen Bemühungen in der Ausbildung bedürfe es außerdem noch immer einer Veränderung der Stellung von Frauen im Arbeitsleben, einer Anpassung der Infrastruktur sowie einer Normalisierung der Elternzeit. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf dürfe nicht mehr nur als Frauenproblem betrachtet werden. Die zunehmende De-Familiarisierung und Entkopplung des Ideals der Kernfamilie präsentiere Frauen zwar neue Freiheiten, birge jedoch gleichzeitig auch ein neues Prekariat. Zudem müsse die Teilhabe von Menschen mit Behinderung, sowie die Inklusion von Menschen mit Migrationshintergrund und von Geflüchteten stärker gefördert werden. Möglichkeiten der Integration könnten neuen Arten der Ausbildung anbieten, wie beispielsweise Ausbildungen in Teilzeit, zweijährige oder modulare Ausbildungen.

Die Stellung der Sozialpartnerschaft

Schließlich wurde der Fokus auf die Stellung der ArbeitnehmerInnen selbst und auf die Situation der Sozialpartnerschaft gelenkt. Zum einen kam hierbei zum Ausdruck, dass die ArbeitnehmerInnen selbst zunehmend an Mitbestimmungsrechten verlieren würden und sich, trotz der steigenden politischen Vernetzung der Gewerkschaften, von diesen nicht genug vertreten fühlten. Besonders in prekären Arbeitsverhältnissen mangele es an VertreterInnen der Arbeitenden. Ob die Sozialpartnerschaft als solche auszuweiten, oder ein mittlerweile überholtes Prinzip sei, wurde in der Diskussion durchaus unterschiedlich bewertet.

Wachstum im heutigen Kapitalismus?

In der conclusio der Diskussion wurden die wichtigsten Punkte erneut zusammengefasst und die Debatte als ganze als Art Zeitdiagnostik interpretiert, welche die Auswirkungen des Kapitalismus auf unsere Gesellschaft im Allgemeinen untersuche. Zudem stellen die kapitalistischen Strukturen unseres Systems eine der Ursachen für die Ungleichheiten unserer Gesellschaft dar, in welcher sich der größte Wohlstand in den Händen weniger befinde. Daher müsse sich die Idee von Wachstum wandeln, sodass dieses nicht einen prekären Arbeitsmarkt weiter wachsen lässt, sondern eine möglichst große Teilhabe an einem größer werdenden Kuchen ermöglichen kann. Wachstum müsse ein Stück weit neu definiert werden.

Eine breite Teilhabe am Arbeitsleben sei von einer Vielzahl von Faktoren abhängig und könne nicht ausschließlich durch höhere Beschäftigungszahlen erreicht werden. Während eine hohe Zahl an Arbeitenden wichtig ist, so muss auch die Qualität dieser Arbeit samt fairer Arbeitsbedingungen garantiert werden. Aus- und Weiterbildung, Sozialpartnerschaft und die richtigen politischen Rahmenbedingungen spielen hierbei gleichwertige Rollen auf dem Weg dorthin.

Autor:innen

Nicolina war Projektassistentin bei Das Progressive Zentrum. Sie absolvierte ihren Bachelor in Public Governance und European Public Administration in Münster, Enschede und Prag und studierte im Master Politikwissenschaften in Potsdam.
Von 2015 bis 2018 Project Manager im Progressiven Zentrum. Hat im Master Politikmanagement an der NRW School of Governance in Duisburg studiert und beschäftigte sich im Rahmen seiner Abschlussarbeit mit der Programmatik in den europäischen Parteienfamilien.
Laura Krause leitete von 2017 bis 2018 im Progressiven Zentrum den Programmbereich Zukunft der Demokratie. Zuvor war sie Senior Associate bei der Strategieberatung Bernstein Public Policy und als Policy Fellow im Progressiven Zentrum assoziiert.

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