Die ökologische Transformation des Verkehrssektors

Mobilität sozial gestalten – Workshopreihe: Die Quadratur des Klimas

Was sind Elemente einer Mobilität, die unsere Umwelt schont statt belastet, und die Gesellschaft zusammenbringt statt zu spalten? Und welche Hürden müssen Akteure überwinden, um Erkenntnisse letztlich auch umzusetzen? Zu diesen Themen kuratierten Das Progressive Zentrum und die Bonner Akademie für Forschung und Lehre Praktischer Politik einen Hintergrundworkshop mit Vertreter:innen aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft. Ziel war es, verschiedene Perspektiven zusammenzubringen, um von einer ehrlichen Gegenwartsanalyse zu Handlungsoptionen auf der kommunalen Ebene zu gelangen.

Die Verkehrswende in Deutschland steht vor der Herausforderung, dass ein über Jahrzehnte gewachsener, fossil betriebener Individualverkehr plötzlich nicht  mehr zu den Anforderungen einer klimaneutralen Gesellschaft passt. Da die Art und Weise, wie wir uns bewegen ein zentraler Teil unseres sozialen Gefüges ist, muss eine ökologische Transformation des Verkehrssektors auch die soziale Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt rücken. Lesen Sie hierzu unsere ausführliche Veranstaltungssynopse, um tiefer in den zweiten Teil unserer Workshopreihe einzutauchen.


Workshop 2: Die ökologische Transformation des Verkehrssektors- Mobilität sozial gestalten 

Im zweiten Teil unserer Workshopreihe beschäftigten wir uns mit der Transformation des Verkehrssektors. Wo stehen wir aktuell und wie gestalten wir eine sozialökologische Verkehrswende?


Illusionen überwinden und Konflikte benennen

Die gegenwärtige öffentliche Debatte rund um die Verkehrswende wird ihrer Komplexität und Konfliktträchtigkeit nicht gerecht. Dies zeigt sich besonders in der Verkürzung der Verkehrswende auf die sogenannte Antriebswende: Die Elektrifizierung der Antriebe. 

„Uns fehlt ein gesellschaftlicher Konsens darüber, dass die Verkehrswende nur mit weniger Autos zu schaffen ist und Arbeitsplätze in der Automobilindustrie wegfallen werden. Alles andere wäre eine Illusion“

Dr. habil. Weert Canzler

Dass Politiker:innen sich davor scheuen, eine konfliktträchtige Wende in Aussicht zu stellen mag kurzfristig verständlich erscheinen. Doch ist es für das Gelingen einer ganzheitlichen Verkehrswende notwendig, eine gut informierte demokratische Debatte zu suchen und zu gestalten.

Der industrielle Wandel verlagert Arbeitsplätze von der Produktion in den Dienstleistungssektor

Gelingt eine Verkehrswende nur mit weniger Autos, so bedeutet das auch, dass Deutschland perspektivisch weniger Autos produzieren wird. Dies führt zu einer Verlagerung von Arbeitsplätzen von der Produktion in den bisher gewerkschaftlich schlecht organisierten und oft prekkären Dienstleistungssektor.

Umso wichtiger ist es, dass alle relevanten Akteure in dieser Veränderung die Chancen erkennen und ihrer Verpflichtung nachkommen, neue und vor allem gute Arbeitsplätze in anderen Segmenten der Mobilitätsbranche zu gestalten.

Die Stadt-Land Differenz anerkennen und soziale Folgen von Maßnahmen mitdenken

Während die Verkehrswende in vielen Städten anläuft, bleibt der Konflikt mit den Stadträndern und ländlichen Regionen bestehen. Um dies anzugehen, muss die Unterschiedlichkeit der Mobilitätsbedürfnisse anerkannt werden. 

Außerdem müssen soziale Implikationen von Maßnahmen wie der City Maut und steigenden Parkpreisen angegangen werden. Diese spielen eine wichtige Rolle, müssen aber gemeinsam mit sozialen Ausgleichsmechanismen in Form von Sozialtransfers und echten Mobilitätsalternativen umgesetzt werden.

Technische Innovationen zielgerichtet einsetzen 

Neue Technologien wie das autonome Fahren sind essenzielle Elemente einer sozial-ökologischen Verkehrswende. Besonders in ländlichen Regionen werden so Möglichkeiten geschaffen, den speziellen Mobilitätsbedürfnissen gerecht zu werden. Um das Potenzial technischer Innovation bestmöglich zu nutzen, müssen diese aber strategisch in die langfristigen Ziele der Transformation eingebunden sein.

„Innovation ist nur insoweit sinnvoll, wie sie einem gesellschaftlichen Ziel dient. Wir können nicht auf Innovationen warten und diese dann politisch anpassen, sondern wir müssen erst politische Rahmenbedingungen schaffen und Innovationen dann gezielt fördern“

Dr. Oliver Lah 

Kommunen befähigen, die Verkehrswende umzusetzen 

Kommunen setzen die Verkehrswende in letzter Instanz um und machen sie für die Bürger:innen erlebbar. Sie sind jedoch personell und finanziell oft stark eingeschränkt, und verfügen über einen begrenzten Handlungsspielraum. Diese Defizite müssen für eine erfolgreiche Transformation behoben werden.

Wir müssen schnell handeln, doch gibt es immer noch Umsetzungshürden in den Kommunen. Wie bekommen wir ein Changemanagement in die Kommunen, um der Geschwindigkeit der Transformation gerecht zu werden?

Anne Klein-Hitpaß

Eine wichtige Beobachtung ist hier, dass sich der (Miss)-Erfolg von Kommunen bei der Verkehrswende nicht allein auf Faktoren wie Größe oder Topografie reduzieren lässt. Das zeigt, dass trotz gewisser Hürden, Kommunen politischen Gestaltungsspielraum besitzen und diesen ausreizen können.


Im Rahmen des Workshops haben u.a. mitgewirkt:

  • Kai Bergmann (German Watch)
  • Julia Collingro (Autoclub Europa)
  • Dr. Laura Niederdrenk (WWF)
  • Alexander Franke (Sachverständigenrat für Umweltfragen)
  • Thomas Gehringer (ver.di)
  • Dr. Dirk Günnewig (Verkehrsministerium NRW)
  • Tanja Hohenstein (Deutscher Verkehrssicherheitsrat)
  • Alexander Kaas-Elias (Verkehrsclub Deutschland)
  • Timo Karl (Universität Bonn)
  • Katharina Klaas (Verkehrsclub Deutschland)
  • Anne Klein-Hitpaß (Deutsches Institut für Urbanistik)
  • Thomas Kralinski (Das Progressive Zentrum)
  • Christian Lüer (Bundesministerium der Finanzen)
  • Norbert Mauren (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie)
  • Dr. Maximilian Müller (Kompetenzcenter Digitalisierung NRW)
  • Dr. Claudia Nobis (Deutsches Institut für Luft- und Raumfahrt)
  • Torsten Perner (RAMBOLL)
  • Dr. Jörn Richert (Mobility Institute Berlin)
  • Daniel Rieger (NABU)
  • Marion Tiemann (Greenpeace)
  • Daniel Weiß (adelphi)
  • Dr. Anna Wenz-Temming (Universität Bonn)
  • Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky (Universität Duisburg-Essen)

Autor:innen

Clara Toker war Teil des Kommunikationsteams im Progressiven Zentrum und arbeitete dort als Junior Kommunikationsmanagerin. Ihr Studium der Film- und Medienwissenschaft absolvierte sie an der Philipps-Universität Marburg und der FU Berlin mit den Schwerpunkten Repräsentation von Arbeit und Geschlecht in audiovisuellen Medien, Kommunikationstheorie, Körper- und Menschenbilder sowie Dokumentarfilmforschung.
Quincey Stumptner war von März 2021 bis März 2022 als Projektmanager im Programmbereich Strukturwandel des Progressiven Zentrums tätig. Sein Fokus liegt auf Themen der werteorientierten Digitalisierung, Technologie- und Klimapolitik, sowie gesellschaftlichen Ungleichheiten.
Anton Fromageot war Projektassistent im Programmbereich Strukturwandel. In seinem Bachelorstudium der Politikwissenschaft und Anglistik in Heidelberg und Leeds (UK) beschäftigte er sich vor allem mit Theorien sozioökonomischer Transformation.

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