Die Corona-Krise zeigt: Populismus braucht kein Mensch

Karl Adam mit einem Beitrag für den Blog „Corona & Society“

Freunde der liberalen Demokratie wussten auch schon vor der Corona-Krise: Populismus braucht kein Mensch. In den USA zeigt Donald Trump, in Großbritannien Boris Johnson, in Brasilien Jair Bolsonaro, wie weit Populismus in einer echten Krise trägt: Es ist ein Bild des Grauens. Trump lässt die US-Bundesstaaten bei der Besorgung von Schutzausrüstung und Beatmungsgeräten gegeneinander konkurrieren, Johnsons Regierung versagt bei der Bereitstellung dringend benötigter Test-Infrastruktur. Bolsonaro leugnet die Gefährlichkeit des Virus bis auf den heutigen Tag. Die Wirtschaft ist ihm wichtiger als Seuchenschutz.

In dieses Gesamtbild passt der Befund, dass die bisherige Regierungsbilanz der Populisten bestenfalls durchwachsen ist: In Italien hat Matteo Salvini in seinem Jahr als Innenminister von 2018 bis 2019 zwar den „starken Mann“ gemimt, und insbesondere gegenüber Geflüchteten Zynismus und Menschenverachtung demonstriert, darüber hinaus allerdings außer einer Parteispendenaffäre, bei der es um – natürlich – russisches Geld ging, wenig vorzuweisen.

In Österreich hat Ex-FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache im Zuge der Ibiza-Affäre eindrücklich demonstriert, wie weit die „Vaterlandsliebe“ der selbst ernannten Patrioten geht. Bereits im Vorfeld des Regierungsantritts war der Saubermann bereit, Infrastruktur und Presse seines Landes an russische Oligarchen zu verkaufen.

Ungarn hat sich in der Dekade seit Victor Orbans Machtantritt zu einer Kleptokratie sondergleichen entwickelt und damit auch die Staats- und Regierungschefs von Polen, Tschechien und der Slowakei inspiriert. Solange die Strukturgelder der viel gescholtenen Europäischen Union fließen, jener Vereinigung, die in diesen Kreisen so gerne als Verschwörung von schwulen Radfahrern und Vegetariern im Geiste des Kommunismus verklärt wird, können die mittel- und osteuropäischen Mini-Potentaten nach Belieben Schalten und Walten.

Die Stunde der Exekutive

Jetzt, in der Corona-Krise, schlägt die Stunde der Exekutive. Angesichts seines bisherigen Krisenmanagements schwer zu verstehen, sind sogar die Umfragewerte von Donald Trump vorübergehend gestiegen. Schnell haben er und sein britischer Compagnon Boris Johnson auf staatsinterventionistische Instrumente umgeschwenkt, die sie in normalen Zeiten wohl als puren Sozialismus bezeichnet hätten. Auch in Deutschland ist die Zustimmung zur Politik der Bundesregierung auf einen für die aktuelle Große Koalition bisher unerreichten Stand gestiegen. Laut ARD-Deutschlandtrend sind gut zwei Drittel der Befragten seit Wochen mit der Arbeit der Regierung „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“.

Vieles an herkömmlicher Kritik an Deutschlands politischer Führung scheint da buchstäblich gestrig. Wer fragt noch nach einer großen Vision, einem Narrativ, einer besseren Präsentation und „Verkaufe“, wenn es doch vor allem darum geht, schnell, effizient und zielgerichtet zu handeln? Wie aus dem Management-Handbuch arbeiten Politik, Wissenschaft und Wirtschaft netzwerkorientiert zusammen. Digitale Angebote werden in einer Geschwindigkeit auf den Weg gebracht, die seit Jahren ersehnt wurde – auch wenn die viel diskutierte Tracing App (aus datenschutzrechtlich guten Gründen!) noch nicht verfügbar ist.

„Der Krieg ist der Vater aller Dinge“, wird der griechische Philosoph Heraklit oft (falsch) zitiert. Die Krise ist hingegen Geburtshelferin einer Menge nützlicher Dinge, die uns auch im Nachhinein erhalten bleiben werden. Das neue Forschungsnetzwerk der deutschen Universitätsmedizin, das auf Initiative des Charité-Vorstandsvorsitzenden Heyo Kroemer und des Direktors der Charité-Virologie, Christian Drosten, in Windeseile eingesetzt wurde, und das vom Bildungsministerium gefördert wird, ist hierbei nur das augenfälligste Beispiel.

Laut dem Naturrechtsphilosophen Samuel von Pufendorf (1632-1694) besteht der Hauptzweck von Staaten darin, „die Menschen durch gegenseitige Vereinigung und Hülffe dermaßen in Sicherheit zu stellen, dass sie vor anderer Gewalt und Unrecht sicher seyen, im guten Frieden leben, auch wider allerhand Feinde genugsam Schutz haben können.“ Das klappt, so möchte man meinen, doch heute in Deutschland ziemlich gut.


Der Blog
Corona & Society: Nachdenken über die Krise
Was können Gesellschaft und Politik programmatisch-konzeptionell aus der Krise lernen?


Rechtspopulismus vor dem Auseinanderbrechen?

Von der AfD, die so vieles besser und anders machen will, ist indes kaum die Rede. Im Windschatten der Krise finden dort vornehmlich Machtkämpfe statt. Es wird deutlich: Auch die Rechtspopulisten sind, in den Worten von Markus Feldenkirchen (DER SPIEGEL), ein „Luxusphänomen“, „ein Ableger der Wohlstandsgesellschaft“: „Man muss es sich einfach leisten können, Nebensächlichkeiten zur Schicksalsfrage der Nation aufzuplustern.“ Einer Sammlungsbewegung wie der AfD wird man mit monokausalen Erklärungen zwar kaum beikommen, ein wichtiger Aspekt wird hier dennoch benannt. Es handelt sich bei der Partei um die bislang erfolgreichste Sammlung jener 10-15% der bundesdeutschen Gesellschaft, die Studien zufolge immer schon für rechteres Gedankengut, als es die Union aus CDU und CSU liefern konnte oder wollte, empfänglich war. Vieles spricht jedoch dafür, dass jetzt eine Überdehnung stattfindet und das Auseinanderbrechen bevorsteht. Schon ein Rentenkonzept zu formulieren, funktionierte ja zwischen dem national-sozialen und dem rechtslibertären Spektrum kaum.

Was ebenso an Relevanz verliert, ist ein linker Defätismus, der die Gründe für den Aufstieg des Rechtspopulismus primär bei „übertriebener“ politischer Korrektheit, bei zu großer Solidarität gegenüber Geflüchteten sieht oder gleich das böse Gehlen-Wort von der „Hypermoral“ benutzt, um Spaltungen zwischen Reform- und Diskurs-Linken zu konstruieren, die es im echten Leben kaum gibt.

Was dagegen im Kampf gegen die Neuen Rechten augenscheinlich wirklich hilft, ist weiterhin effiziente und zielorientierte Pflichterfüllung ohne die Preisgabe der eigenen Werte. Und hier warten in der Krise, nachdem im Landesinneren die gröbsten – längst nicht alle – Probleme konsequent angegangen wurden, gewaltige Herausforderungen: Ohne Corona-Bonds wird die Eurozone nicht überleben. Ungarns Abdriften in die Diktatur muss entschieden sanktioniert werden, wie es die meisten Mitte-Rechts-Parteien Europas – mit der Ausnahme Deutschlands und Österreichs – längst fordern. Und am Schicksal der Geflüchteten in Griechenland hat sich ebenfalls nichts geändert. Bei allen drei Themen gilt: Es ist Zeit, entschlossen zu handeln!

Autor

Karl Adam

Freier Redakteur
Karl Adam schreibt für das Progressive Zentrum als Freier Redakteur. Er ist selbstständiger Projektmanager und Mitglied im Vorstand der Deutsch-Polnischen Gesellschaft und der Europa-Union Göttingen.

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