Die AfD im Bundestag: Fünf Lehren aus der ersten Sitzung

Fedor Ruhose kommentiert die erste Sitzung des Bundestages

Niemand weiß, ob die AfD aus dem Bundestag perspektivisch wieder verschwindet. Umso wichtiger ist es, ab sofort konzentriert für dieses Ziel und die Stärkung der Demokratie zu arbeiten.

Von Tag eins dieser Bundestagsperiode dominiert die AfD die Berichterstattung: Streit um den Fraktionssaal, die Sitzordnung und den Posten des Bundestags-Vize. Der Grund: die anderen Fraktionen wissen noch nicht, wie sie mit den Neuen umgehen sollen und steigen daher zu oft auf deren Provokationen ein. Folglich heißt es in den eigenen Medienkanälen der AfD: Wir werden unterdrückt! Wir kämpfen gegen die eingesessene Elite! Die Anhängerschaft der Rechtspopulisten schäumt: Ziel erreicht.

Doch das war erst der Anfang; weitaus gewichtigere Fragen werden folgen: in welchen Ausschüssen kriegt die AfD den Vorsitz, in welchen sensiblen Gremien Sitze, in welcher Höhe die parteinahe Stiftung Geld? Und wie soll im Plenarsaal auf Entgleisungen der AfD reagiert werden: ignorieren oder reagieren? Sehr bald wird der Bundestag Antworten liefern müssen. Einige davon kann die Hauptstadt in den Landesparlamenten der Republik finden, denn in 14 von ihnen sitzt die AfD bereits. Aus dieser Erfahrung und nach Tag 1 mit der AfD im Bundestag folgen fünf Lehren für einen cleveren Umgang mit den Rechtspopulisten:

1. Macht aus der AfD kein Opfer!

Die AfD darf nicht mit parlamentarischen Geschäftsordnungstricks diskriminiert werden. Ein solches Vorgehen – wie es bei der Veränderung der Bestimmung des Alterspräsidenten erfolgt ist – stärkt den Opfermythos der AfD. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Grenzen gibt oder dass jegliche Kandidatinnen und Kandidaten der AfD für andere Fraktionen wählbar wären. Im Fall Albrecht Glasers ist die Verweigerung der Wahl konsequent: Eine Person, die Grundrechte in Frage stellt, darf dem deutschen Parlament nicht mitvorsitzen.

2. Bereitet Euch auf Angriffe vor!

Es ist ein neuer Ton in den Bundestag eingezogen: Zwischenrufe, Ordnungsrufe, Proteste gegen die Sitzungsführung sowie Sondersitzungen des Ältestenrats werden zunehmen. Die AfD-Bundestagsfraktion wird ihre neuen parlamentarischen Ressourcen dafür einsetzen, Informationen einzuholen, um Politik und Verwaltung auch im Detail zu kritisieren. Fraktionen, deren Mitglieder in der bisherigen politischen Normalität Deutschlands groß geworden sind, müssen deshalb umdenken: Sie sollten sich inhaltlich und kommunikativ auf Angriffe vorbereiten. Zudem müssen eigene Debattenakzente gesetzt werden, statt sich von der AfD treiben zu lassen. Ab sofort herrscht Dauerwahlkampf im Parlament!

3. Bleibt gelassen!

Auch heute ist es der AfD wieder gelungen, ein großes Medien-Echo zu erzeugen. Dabei haben die permanenten Provokationen der AfD meist die einzige Funktion, später auf Social Media-Kanälen als vermeintlich heldenhafter Widerstand gegen „das System“ präsentiert zu werden. Diese populistische mediale Weiterverwendung sollten die anderen Abgeordneten im Hinterkopf behalten. Für zukünftige Debatten folgt daraus: Gezielte Provokationen der AfD öfter ins Leere laufen lassen.

4. Liefert, bevor es die AfD tut!

Die Ausgrenzung der AfD ist gescheitert. Ihr muss nun eine Auseinandersetzung über Inhalte und Personen folgen, aber keine Anfeindung jener Wählerinnen und Wähler, die der AfD ihre Stimme gegeben haben, weil sie ihre Anliegen durch die anderen Parteien nicht abgedeckt sehen. Um diese zurück zu gewinnen hilft nur: Umstrittene Themen selbst ansprechen, in den Dialog treten und deutliche Alternativen formulieren. Anstatt „Agenda Cutting“ zu betreiben, müssen progressive Kräfte wieder den Kontakt zu jenen Menschen herstellen, die nicht der gleichen Meinung sind wie sie. Präsenz vor Ort ist eines der wenigen Mittel, das nachhaltig den Rechtspopulismus kleinkriegen kann. Dass die SPD-Bundestagsfraktion nun unmittelbar zum Start der Legislaturperiode mit einer „Tür zu Tür-Aktion“ den Kontakt zu den Bürgern sucht, ist ein richtiger Ansatz.

5. Nutzt die Bühne des Parlaments!

Dass es die Rechtspopulisten ins Parlament geschafft haben, muss von den anderen Fraktionen als Chance begriffen werden. Denn Widerspruch erzeugt Spannung. Durch die Aufwertung der parlamentarischen Debatte können die etablierten Kräfte selbst das Parlament nutzen und die Demokratie stärken. Die AfD engagiert inhaltlich zu stellen, ist wichtig und hilft, den Rechtspopulismus aus der Mitte der Gesellschaft wieder zurück zu drängen – zuletzt gezeigt hat das der FDP-Fraktionsvorsitzende im Baden-Württembergischen Landtag Hans-Ulrich Rülke. Macht deutlich, dass ihr für eine andere Gesellschaft steht und für Ressentiments kein Platz ist.

Daher sollte der Bundestag jetzt den Mut haben, die Parlamentsbühne auszubauen, zum Beispiel durch eine regelmäßige Kanzlerinnenbefragung oder einer Aufwertung der Fragestunde. Entsprechende Vorschläge wurden heute auf den Tisch gelegt. Für die anstehende Diskussion über die Geschäftsordnung des Bundestages sollte Richtschnur sein: Keine Angst vor der AfD, sondern volles Bewusstsein der eigenen Demokratiekompetenz! Zudem sollte der neue Bundestag sich trauen, über das gestörte Kommunikationsverhältnis zu einem gewichtigen Teil der Wählerinnen und Wähler zu diskutieren. Es ist höchste Zeit für eine „Demokratie-Enquete“ im Deutschen Bundestag.

Niemand weiß, ob die AfD aus dem Bundestag perspektivisch wieder verschwindet. Umso wichtiger ist es, ab sofort konzentriert für dieses Ziel und die Stärkung der Demokratie zu arbeiten.


Dieser Artikel erschien zuerst auf Carta.info, dem Autorenblog für Politik, Ökonomie und digitale Öffentlichkeit.


Die Empfehlungen beruhen auf dem ausführlichen Discussion Paper „Umgang mit der AfD im parlamentarischen Alltag“, das hier heruntergeladen werden kann:

Autor

Fedor Ruhose

Policy Fellow
Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz.

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