Was an Clintons Kampagne richtig war

Progressive Politiker dürfen die Menschen, die sich als schweigende Mehrheit verstehen, nicht ignorieren

Am Ende hat es nicht ganz gereicht. Das heißt jedoch keineswegs, dass Clintons professionell geführter Wahlkampf verkehrt gewesen wäre. Gerade für ihre Auseinandersetzung mit Populisten finden Europas Progressive hier jede Menge Anschauungsmaterial

Wie viele Beobachter der amerikanischen Wahlkampagnen des Jahres 2016 hat auch mich der Ausgang der Präsidentschaftswahl überrascht. Denn Hillary Clinton verfügte über einen ebenso modernen wie großen Kampagnen-Apparat, der sicherstellen sollte, dass die eigenen Anhänger auch tatsächlich wählen gehen („Get Out The Vote“). Donald Trump besaß so gut wie gar keinen Apparat.

Trotzdem hat er gewonnen und Clinton verloren. Verfügte er also über die bessere Strategie? Und wenn ja: Ließe sich diese Strategie kopieren? Sollte auf der anderen Seite die Effektivität der Clinton-Kampagne hinterfragt werden? Hat sich der Wettbewerbsvorteil in Bezug auf die Kampagnenführung, den sich die Demokraten in den vergangenen zehn Jahren erarbeitet hatten, in Luft aufgelöst?

Beginnen wir mit einigen Bemerkungen über die treibenden Kräfte hinter Donald Trumps Sieg. Der Milliardär hatte für den Wahlkampf eine zentrale strategische Entscheidung getroffen: Er behielt die populistischen Positionen bei, die er während des Vorwahlkampfs eingenommen hatte. So wollte er weiterhin wütende Bürger hinter sich scharen, während er zugleich darauf hoffen musste, traditionelle republikanische Wähler wie die religiöse Rechte und wirtschaftsfreundliche, gemäßigte Anhänger nicht abzuschrecken. Diese Strategie war hochriskant, aber wahrscheinlich die einzige denkbare Vorgehensweise, die einen Weg zum Sieg eröffnete und zugleich Trumps Charakter entsprach.

Hillary Clinton orientierte sich hingegen an der Theorie des Medianwählers: Anstatt sich nach links zu bewegen und auf diese Weise aus der Mobilisierungskraft der Kampagne von Bernie Sanders Kapital zu schlagen, positionierte sie sich in der politischen Mitte. Angesichts der extremen Positionen, die Donald Trump in Bezug auf Einwanderung, Frauen und einige andere Themen einnahm, war dies eine vernünftige Entscheidung. Dabei vertraute Clinton stark auf die Auswertung von Daten, auf Kampagnentechnologie und auf die vielen freiwilligen Unterstützer im Haustürwahlkampf vor Ort, wobei ihr die in den vergangenen zehn Jahren aufgebaute Infrastruktur der Demokratischen Partei kräftig half. Nach John Kerrys Niederlage im Jahr 2004 hatte das Democratic National Committee beschlossen, wahlkampftechnisch zu den Republikanern aufzuschließen und einzigartige Kampagnenwerkzeuge entwickeln zu lassen, von denen später alle Kampagnen der Demokraten profitieren sollten – die Kandidaten für das Repräsentantenhaus ebenso wie Barack Obama. Nun wollte auch Hillary Clinton diese Werkzeuge nutzen, um die traditionelle demokratische Wählerschaft maximal zu mobilisieren, besonders Angehörige von Minderheiten.

Das Phänomen Trump ist unwiederholbar

Wie wir wissen, ging das schief. Was war genau passiert?

Erstens schnitt Trump bei weißen Männern ohne College-Abschluss um 15 Prozentpunkte besser ab als Mitt Romney, der republikanische Kandidat 2012. Diese Gruppe ist besonders in den Bundesstaaten des so genannten rust belt im Nordosten Amerikas stark vertreten.

Zweitens verlor er allerdings unter gemäßigten Republikanern an Zustimmung (vor allem in städtischen Gebieten), sowie bei Wählern, die mehr als 100.000 Dollar pro Jahr verdienen und traditionell republikanisch wählen.

Drittens: Die entscheidende Variable aber, um Trumps Sieg zu erklären, ist der Bildungsgrad, nicht das Einkommen. Je ungebildeter Wähler sind, desto eher wählen sie republikanische Kandidaten.

Viertens hat es Donald Trump geschafft (wohl auch dank seines ultrakonservativen Vizepräsidenschaftskandidaten Mike Pence), die religiöse Rechte zu überzeugen: 81 Prozent der Evangelikalen wählten ihn – ein Plus von 8 Punkten gegenüber Mitt Romney 2012.

Fünftens schnitt Trump bei den Männern überdurchschnittlich gut ab, Clinton aber nicht bei den Frauen.

Sechstens erhielt Clinton im Vergleich zu Barack Obama weniger Stimmen von den Angehörigen der Minderheiten; sie hatte es nicht geschafft, diese Gruppe zu mobilisieren.

Trump hatte also eine klare strategische Entscheidung getroffen, die sich als richtig erwies. Was Kampagnentechniken und -werkzeuge betrifft, ging er – mit Ausnahme seines Twitter-Accounts – überaus altmodisch vor. Auch dies war eine sehr bewusste Entscheidung: Er betonte mehrfach, moderne Kampagnentechnologien nicht zu verwenden. Es liegt nahe, daraus abzuleiten, dass die aufwendigen Werkzeuge der Demokraten ihre Wirkung verloren haben.

Es wäre jedoch falsch davon auszugehen, dass der Sieger alles richtig gemacht hat. Hillary Clinton erhielt – in absoluten Zahlen – landesweit mehr Stimmen als Trump und verlor in den vier Staaten des rust belt nur knapp (um weniger als zwei Prozentpunkte). Hätte sie dort gewonnen, würden wir heute ihre klugen Entscheidungen und ihre intensiven Get-Out-The-Vote-Anstrengungen loben. Anders gesagt: Was am 8. November passierte, genügt nicht, um 15 Jahre wissenschaftlicher Forschung zur Wählermobilisierung zu entkräften. Hillary Clinton hätte wahrscheinlich viel schlechter abgeschnitten, wenn sie die modernen Kampagnentechniken beiseite gelassen hätte. Wie die Arbeiten der Politologen Alan Gerber und Donald Green zeigen, sind Haustürkampagnen nach wie vor das effektivste Instrument, um Menschen an die Wahlurnen zu bewegen.

Für gute Haustürwahlkämpfe sind drei Dinge vonnöten, die Hillary Clintons Kampagne in vorbildlicher Weise berücksichtigte: Daten und Vorhersagemodelle zur Identifizierung von Gegenden mit der höchsten Dichte potenzieller Wähler; digitale Werkzeuge wie Mapping-Software und Apps, damit die freiwilligen Helfer einfacher und besser mitwirken können; hochqualifizierte Kampagnenleiter vor Ort, um Freiwillige zu rekrutieren und auszubilden.

Dem Haustürwahlkampf gehört die Zukunft

Gewiss war Hillary Clinton nicht so inspirierend wie Barack Obama es im Jahr 2008 gewesen war, weshalb es ihr schwerer fiel, freiwillige Helfer zu mobilisieren. Doch obwohl der Zauber fehlte, vermochte es ihr Team durch harte Arbeit, einen gut organisierten, datengetriebenen Wahlkampf mit hunderttausenden Freiwilligen auf die Beine zu stellen. Verglichen mit der Trump-Kampagne machte das durchaus einen Unterschied. Zukünftige Wahlkämpfer in Europa sollten keine Sekunde zögern, wenn es um die Frage geht, ob die Clinton-Kampagne ein Vorbild sein kann.

Die gute Nachricht lautet, dass der größte Teil der demokratischen Kampagne in Europa kopiert werden kann. Auf unserem Kontinent stehen immer mehr Daten zur Verfügung (auch in Deutschland), so dass es heute möglich ist, fortschrittliche Wählermodelle zu entwickeln und gezielte Kampagnen aufzubauen, während zugleich die hohen europäischen Standards in Bezug auf den persönlichen Datenschutz erhalten bleiben. Derweil in den Vereinigten Staaten die Vorhersagemodelle auf individuelle Wähler abzielen, beziehen sich die europäischen Modelle auf Nachbarschaften, also Gruppen von Wählern, so dass die Privatsphäre geschützt bleibt.

Und können wir auch von Donald Trump etwas lernen? Seine Kampagne lässt sich kaum kopieren, weil sie sehr stark auf seinem Charakter beruhte. Sie nachzuahmen würde buchstäblich bedeuten, Donald Trump zu klonen. Jedoch tat er etwas, das für europäische Wahlkämpfe bedeutsam ist, besonders für die Wahlen in Frankreich und Deutschland im kommenden Jahr, wo die traditionellen Parteien mit erstarkenden populistischen Kräften umgehen müssen: Mit seiner schockierenden Rhetorik und seinen aggressiven Auftritten sprach Donald Trump die „schweigende Mehrheit“ an und brachte viele ehemalige Nichtwähler zurück an die Urnen.

Vor dem Wahlsieg kommt das Zuhören

Das ist ein Warnsignal. Progressive Politiker dürfen die Menschen, die sich als schweigende Mehrheit verstehen, nicht ignorieren, sondern sie sollten eine nicht-trumpeske Sprache verwenden, um in dieser Gruppe auf Resonanz zu stoßen. Dafür muss man diesen Menschen zunächst zuhören. In dieser Hinsicht lohnt es sich, die Aktivitäten des ehemaligen französischen Wirtschaftsministers Emmanuel Macron und seiner politischen Bewegung En Marche zu beobachten. Macron nutzte den kompletten Werkzeugkasten aus Daten, digitalen Hilfsmitteln und freiwilligen Unterstützern, um eine groß angelegte Haustürkampagne zu organisieren, die das Ziel hatte, den Bürgerinnen und Bürgern in ganz Frankreich zuzuhören. Das Ergebnis ist ein einzigartiges, zwei Millionen Wörter umfassendes Dokument, in dem die Stimmung im Land eingefangen ist – auch die der schweigenden Mehrheit.

Deshalb möchte ich optimistisch enden: Mit der Kombination aus Daten, digitalen Mitteln und menschlichem Kontakt lassen sich auch weiterhin gute Ergebnisse erzielen. Die Lehre aus Trumps Wahlsieg sollte nicht lauten, dass der Aufstieg der Populisten unaufhaltsam ist. Im Gegenteil: Es ist umso wichtiger geworden, weiterhin an Wahlkampfinnovationen zu arbeiten, um sicherstellen zu können, dass die Menschen im Fokus der Politik bleiben.

Aus dem Englischen von Michael Miebach


Dieser Beitrag erschien zuerst im Debattenmagazin Berliner Republik 06/2016.

Autor

Guillaume Liegey ist Experte für Wahlkampfstrategien. 2012 war er Leiter des nationalen Bereichs für den Präsidentschaftswahlkampf von François Hollande. Er ist Mitgründer von Liegey Muller Pons (LMP), einer Organisation für Wahlkampftechnologien, die bereits für Wahlkämpfe in 14 Ländern Europas verantwortlich war sowie mit der Bewegung „En Marche“ des französischen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron zusammenarbeite.

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