Wachstum für alle

Gustav A. Horn diskutiert die Notwendigkeit eines inklusiven Wachstums für die Gesellschaft.

Das Wachstum in Deutschland ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Der generierte Wohlstand hat jedoch bei weitem nicht alle Teile der Bevölkerung erreicht. Tatsächlich wird die Spanne zwischen Arm und Reich zunehmen größer. Gustav A. Horn diskutiert diesen Umstand und wie Wachstum anders gestaltet werden kann, um den Wohlstand gerechter zu verteilen.

Ein Wachstum, von dem alle etwas haben, ist das Ziel vieler wirtschaftspolitischer Bestrebungen. Ein inklusives Wachstum zu erreichen, hat schließlich auch deshalb eine solche Bedeutung gewonnen, weil es in den vergangen 10 – 15 Jahren deutlich nicht gelang und die politischen wie ökonomischen Konsequenzen mittlerweile unübersehbar sind.

In einem harten ökonomischen Sinn meint inklusives Wachstum, dass die steigende Wertschöpfung einer Volkswirtschaft letztlich allen Einkommensklassen zu Gute kommen sollte. Dies kann durchaus in unterschiedlichem Ausmaß der Fall sein, aber am Ende muss der gesamtwirtschaftliche Gewinn an Kaufkraft für jeden Haushalt spürbar sein.

Dies war in der jüngeren Vergangenheit Deutschlands über längere Phasen erkennbar nicht der Fall. Insbesondere im vergangenen Jahrzehnt kam das Wachstum fast ausschließlich der Einkommens – Oberschicht zu Gute, während die Mittelschicht stagnierte und die Unterschicht sogar an Kaufkraft verlor. Im zeitlichen Umfeld der Finanzmarktkrise, die vor allem Haushalte mit hohem Gewinn – und Vermögenseinkommen betraf, während die Arbeitseinkommen dank geeigneter stabilisierender Maßnahmen vergleichsweise nur geringfügig belastet wurden, korrigierte sich diese Tendenz etwas. Bemerkenswert ist aber, dass der derzeitige und bereits relativ lang anhaltende Aufschwung erneut eine merkliche Unwucht zu Gunsten der Haushalte mit höheren Einkommen entfaltet.

Diese Tendenzen zum Teil in anderen zeitlichen Abläufen sind in vielen entwickelten Volkswirtschaften zu verzeichnen. Das Phänomen der Ungleichheit von Einkommen und Vermögen, das über lange Jahre der Nachkriegszeit keine Rolle mehr auf der wirtschaftspolitischen Agenda spielte, ist zurückgekehrt.

Ist zunehmende Ungleichheit im Wachstum unvermeidbar?

Die Frage ist nun, ob und wie dies zu ändern wäre. Lange Zeit war gerade in Deutschland unter Ökonomen die Ansicht vorherrschend, dass das Ausmaß an Ungleichheit bei Löhnen und Einkommen sogar zu gering sei, weil es die Anreize für wirtschaftliche Leistung schwächen würde. Dieses Paradigma ist durch neuere Studien schwer erschüttert worden. Nicht nur nahm die Ungleichheit zu, was ja den Befund per se entkräftet hätte, sondern die postulierten positiven Effekte sind nicht eingetreten. Einige Studien zeigen sogar, dass die zunehmende Ungleichheit das Wachstum geschwächt hat.

Dies liegt zum einen daran, dass die mittleren und unteren Einkommensschichten besonders viel für Konsum ausgeben, während die oberen Einkommensschichten mehr sparen. Steigt die Ungleichheit, steigen die Ausgaben verlangsamt und das Wachstum fällt geringer aus als wenn die zusätzlichen Einkommen im unteren Bereich angefallen wären.

Auf längere Sicht bedeutsamer ist, dass bei hoher Ungleichheit die unteren Einkommensgruppen ihre Anstrengungen vermindern, wirtschaftlich erfolgreicher zu sein, weil sie es für aussichtslos halten. Dieser Befund wird gestützt durch eine abnehmende soziale Mobilität. Die Wahrscheinlichkeit von niedrigen Einkommensgruppen im Laufe der Jahre in höhere zu springen, sinkt bei steigender Ungleichheit, tendiert also zur Verfestigung. Dass daraus Resignation der in der Einkommensverteilung Abgehängten entsteht, ist nachvollziehbar. Mithin bleiben nicht nur persönliche, sondern auch wirtschaftliche Potenziale unerschlossen. Dies drückt das Wachstum im Vergleich zum Möglichen.

Der Weg in Richtung Ungleichheit ist jedoch keine ökonomische oder politische Zwangsläufigkeit. So zeigen Untersuchungen, dass das Ausmaß an Ungleichheit signifikant von nationalen Entscheidungen geprägt wird, es also keine zwangsläufige Folge der Globalisierung ist. Es bestehen somit politische Gestaltungsspielräume, ein inklusives Wachstum zu fördern. Deren Nutzung ist aber alles andere als einfach. Schließlich zeigen Untersuchungen sowohl für die USA als auch für Deutschland, dass sich bei Konflikten die Vorstellungen wohlhabenderer Schichten im politischen Prozess stärker durchsetzen als jene einkommensschwächerer Schichten. Wer also politisch gegen eine zu hohe Ungleichheit vorgehen will, sollte politisch konfliktbereit und konfliktfähig sein.

Unter diesen Rahmenbedingungen ist es zwar schwierig, aber nicht unmöglich, den Wachstumsprozess so zu verändern, dass er inklusiv verläuft. Dazu muß sich aber die Kette, entlang der die Wertschöpfung erzeugt wird, wie auch deren Verwendung ändern.

Wege zum inklusiven Wachstum

Ein maßgeblicher erster Schritt ist, die Verhandlungsmacht von Arbeit im Wertschöpfungsprozess aufzuwerten. Die Arbeitsmarktreformen des vergangenen Jahrzehnts haben in Deutschland das Gegenteil bewirkt. Hier ist eine Umkehr notwendig. Es gilt vor allem, den Tarifbildungsprozess zu stärken, in dessen Rahmen die Sozialpartner ein faire Entlohnung aushandeln können, die einerseits den Wachstumsprozess nicht gefährdet, andererseits aber die Beschäftigten an den Früchten des Wachstums teilhaben lässt. Dies führt zu einer dynamischeren Entwicklung der Lohneinkommen. Da diese vor allem für die mittleren und unteren Einkommen von Bedeutung sind, ist dies ein Weg das Wachstum gleichmäßiger zu verteilen.

Diese Veränderung herbeizuführen ist sowohl eine politische Aufgabe, nämlich den Arbeitsmarkt neu zu regulieren, als auch eine zivilgesellschaftliche der Tarifparteien. Unternehmen und Gewerkschaften müssen einen Konsens finden wie Beschäftigte wieder stärker am Zuwachs der Wertschöpfung beteiligt werden können. Dies gilt insbesondere in Bereichen, wo es bislang oder nicht mehr zu tarifvertraglichen Vereinbarungen kommt. Entsprechende Mindestlohnsteigerungen sind eine mögliche Antwort hierauf.

Je weniger es gelingt, den Wachstumsprozess aus sich heraus inklusiver zu gestalten, desto stärker ist die Politik gefordert. Sie kann die Verteilungswirkung des Wachstums über Steuern und Ausgaben ändern. In der Tendenz werden höhere Steuern auf Vermögen und Finanzmärkte geeignet, eine entsprechende Verteilungswirkung zu erzielen. Gleichzeitig sollten die Einnahmen hieraus verwendet werden, um insbesondere Regionen und Menschen zu fördern, die nicht oder unzureichend von dem Zuwachs an Wertschöpfung teilhaben.

Dies kann durch eine gezielte Regionalpolitik, die mit einem Aufbau staatlicher Institutionen verbunden ist, geschehen. Bildungsangebote sind dabei von besonderer Bedeutung. Das gilt auch für die Förderung einzelner. Aber darüber hinaus gilt es vor allem für sie gut bezahlte Beschäftigung zu schaffen. Das könnte über die Förderung von dringend benötigten Dienstleistungen im Pflegebereich bis hin zum Aufbau einer flächendeckenden digitalen Infrastruktur gehen.

Will man das Wachstum inklusiv gestalten, bedarf es einer spürbaren Veränderung im Wachstumsprozess, die politisch gestaltet werden muss. Das reicht von entsprechenden Arbeitsmarktreformen bis hin zur Förderung von Bildung und Beschäftigung. Vor allem aber bedarf es der Konfliktbereitschaft diese Maßnahmen gegen massive politische Widerstände durchzusetzen.

Autor

Gustav A. Horn

Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK)
Gustav A. Horn studierte an der Universität Bonn und der London School of Economics. Er promovierte und habilitierte an der TU Berlin. Seit 2005 ist er Wissenschaftlicher Direktor am neu gegründeten Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans Böckler Stiftung. Im Jahr 2007 wurde er apl. Professor an der Universität Flensburg und im Jahre 2012 an der Universität Duisburg –Essen

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