Christian Lindner, Olaf Scholz und Robert Habeck laufen auf die Kamera zu.

Wähler:innenpotenzialanalyse: So schaut die Bevölkerung derzeit auf die Ampel-Regierung

Eine Befragung analysiert das Wähler:innenpotenzial aller im Bundestag vertretenen Parteien, die Zufriedenheit mit der Bundesregierung und die Politikpräferenzen der Bevölkerung für die kommenden zwei Jahre.

2023 hat die Bundesrepublik Deutschland einen erheblichen Rechtsruck erfahren. Die in mehreren Landesverbänden vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD befindet sich in einem Umfragehoch, die Zufriedenheit mit der Bundesregierung ist hingegen an einem Tiefpunkt angelangt. Vor diesem Hintergrund hat das Progressive Zentrum Anfang 2024 – dem Jahr, in dem die Europawahl und die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stattfinden – die Meinungsforschungsagentur pollytix mit der Durchführung einer repräsentativen Online-Befragung beauftragt, die das Wähler:innenpotenzial aller im Bundestag vertretenen Parteien analysiert, die Zufriedenheit mit der Bundesregierung untersucht und Politikpräferenzen der Bevölkerung für die kommenden zwei Jahre erhebt.

Das Ergebnis der Wähler:innenpotenzialanlyse, für die im Januar 2024 3.000 Menschen online befragt wurden: In der Sonntagsfrage haben die Ampelparteien mit 21 Prozentpunkten gegenüber der Bundestagswahl 2021 stark eingebüßt – insbesondere SPD und FDP. Sowohl SPD als auch FDP verlieren ihre Wähler:innen an die CDU/CSU, gefolgt von dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bzw. der AfD.

Gleichzeitig bleibt eine hohe potenzielle Erreichbarkeit bestehen: 48 Prozent der Befragten können sich aktuell vorstellen, bei der kommenden Bundestagswahl 2025 eine der Ampel-Parteien zu wählen. Die Potenzial-Überschneidungen der Ampel-Parteien sind dabei insgesamt eher gering. Nur zwischen SPD und Grünen gibt es größere Überschneidungen. Das neu gegründete BSW ist vor allem eine Gefahr für die Linken, in geringerem Ausmaß auch für die AfD.

Abbildung: Potenzial-Überschneidungen von SPD und Grünen mit FDP gering

Basis: alle Wahlberechtigten. Abweichungen rundungsbedingt. Lesehilfe: 3% aller Wahlberechtigten können sich vorstellen, alle drei Ampel-Parteien bei einer Bundestagswahl zu wählen, 10 Prozent der Wahlberechtigten können sich hingegen nur die Wahl von SPD oder Grünen vorstellen, nicht aber von FDP.

Unzufriedenheit mit der Regierung – aber Zufriedenheit mit ihren Maßnahmen

Interessanterweise zeigt sich eine deutliche Divergenz zwischen der Zufriedenheit mit der Bundesregierung und der Zufriedenheit mit den von ihr umgesetzten Maßnahmen: Die Befragten zeigten sich mit der Arbeit der Bundesregierung sehr unzufrieden – was insbesondere auf die Wahrnehmung einer mangelnden Geschlossenheit der Regierung zurückzuführen ist. Gleichzeitig werden die durchgesetzten Maßnahmen – bis auf das Heizungsgesetz und die Einführung des Bürgergelds – alle positiv bewertet.

Genau wie mit der Bundesregierung insgesamt, herrscht auch in den einzelnen Politikfeldern Unzufriedenheit. Unter Wähler:innen der Ampel-Parteien ist man am wenigsten unzufrieden mit der Verteidigungspolitik – SPD- und Grünen-Wähler:innen zeigen sich hier sogar mehrheitlich zufrieden. Im Bereich Klimaschutz wünschen sich die Wahlberechtigten mehrheitlich eine ambitionierte Klimapolitik, um gute zukunftssichere Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen – auch unter den Ampel-Wähler:innen gibt es hierfür eine deutliche Mehrheit.

Abbildung: Zufriedenheit mit der Ampelregierung

Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der …?

Basis: alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: weiß nicht.

Abbildung: Bewertung Ampel-Projekte

Im Folgenden sehen Sie verschiedene Maßnahmen, die die aktuelle Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren umgesetzt hat bzw. noch umsetzen will. Bitte geben Sie an, wie Sie diese Maßnahmen bewerten.

Basis: alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: noch nichts davon gehört / weiß nicht.

* für kleine und mittlere Unternehmen

Fokus auf Begrenzung irregulärer Migration gefordert

Gleiches zeigt sich bei Investitionen in den ÖPNV und staatlicher Förderung für den Ausbau Erneuerbarer Energien. Lediglich beim Tempolimit unterstützt eine knappe Mehrheit der FDP-Wähler:innen den Vorschlag nicht. Die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Stärkung der Sozialen Gerechtigkeit finden breite Zustimmung. Unter den Ampel-Wähler:innen gibt es auch eine Mehrheit für die Erhöhung der Erbschaftsteuer für sehr hohe Erbschaften. Bei den wirtschaftspolitischen Maßnahmen bewerten die Wahlberechtigten vor allem den geplanten Bürokratieabbau als besonders positiv.

Abbildung: Auf welche Themen sollte sich die Ampel-Koalition aus Ihrer Sicht in den verbleibenden zwei Jahren der Legislatur bis zur Bundestagswahl 2025 fokussieren?

Die Ampel sollte sich darauf fokussieren, …

Basis: alle Wahlberechtigten. Fehlende Werte: weiß nicht. Mehrfachangabe möglich, maximal zwei Nennungen.

Für die verbleibenden eineinhalb Jahre wird ein Fokus auf die Eindämmung der Preissteigerungen und die Begrenzung irregulärer Migration gefordert – wobei vor allem strengere Grenzkontrollen und eine bessere Finanzierung der Kommunen positiv bewertet werden.

Plädoyer für konstruktives öffentliches Streiten

Dass die Menschen in Deutschland mit der Bundesregierung sehr unzufrieden sind, ihre einzelnen politischen Maßnahmen jedoch ebenso deutlich positiv bewerten, zeigt: Die Ampel ist tatsächlich besser als ihr Ruf, das Produkt besser als die Marke. “Diese Divergenz kann nur aufgelöst werden, wenn wir verstehen, dass inhaltliche Konflikte in einer derart diversen Mehrparteienkoalition wie der Ampel normal sind – im Sinne eines breiten demokratischen Spektrums vielleicht sogar politisch notwendig”, so Dominic Schwickert, Geschäftsführer des Think-Tanks Das Progressive Zentrum. Der Schlüssel liegt demnach nicht darin, Streit zu vermeiden, sondern konstruktiv zu streiten – auch und gerade öffentlich. Dies ist der Ampel bisher zu wenig gelungen.

Klar ist nach zweieinhalb Jahren auch: Die Ampel gewinnt und verliert zusammen. “Für die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl braucht die Bundesregierung darum vor allem eine gemeinsame und konkrete Idee für das Land – beispielsweise in Gestalt einer wirtschaftspolitischen Reformagenda, die Unternehmen entlastet, Arbeitsplätze sichert und Deutschland in den entscheidenden Zukunftsmärkten auf Kurs bringt”, so Dominic Schwickert, Geschäftsführer des Think-Tanks Das Progressive Zentrum.

Autor:innen

Paul Jürgensen

Senior Grundsatzreferent
Paul Jürgensen ist Senior Grundsatzreferent des Progressiven Zentrums. In dieser Funktion verantwortet er übergreifende Projekte in den Themenfeldern „Gerechte Transformation“ und „Progressives Regieren“.

Maria Menzel-Meyer

Leitung Strategische Kommunikation
Maria Menzel-Meyer ist Leiterin Strategische Kommunikation und Ansprechpartnerin für Presseanfragen bei Das Progressive Zentrum. Sie hat Publizistik, Politikwissenschaft und Soziologie in Berlin und Hagen studiert und sich wissenschaftlich schwerpunktmäßig mit Zusammenhängen zwischen sozialer Ungleichheit und Sozialpolitik, insbesondere der Arbeitsmarktpolitik und der sozialen Sicherung beschäftigt.
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