Klimapolitik der Groko: Vertrauen in die Zukunft statt Untergangsvisionen

Ein Beitrag für „Progressives Regieren 2020plus“ von Christian Büchter

Christian Büchter, Referent im Bundesministerium für Umwelt und Bau, gibt Vorschläge, wie die GroKo das Klimapaket zukünftig schnell umsetzen kann.

Die Klimapolitik der Bundesregierung ist besser als ihr Ruf. Sie hat mit dem Klimaschutzprogramm 2019 das größte Klimapaket in der Geschichte beschlossen, das milliardenschwere Investitionen – rund 150 Milliarden Euro bis 2030 – in klimafreundliche Technologien und Infrastruktur investiert. Das Paket schafft neue Steuerungswerkzeuge wie den Emissionshandel für die Sektoren Verkehr und Gebäudewärme und eine Klima-Governance auf Bundesebene. Bahnfahren wird in Zukunft billiger, Flugtickets teurer. Der Austausch der Heizung wird gefördert, Ölheizungen verboten. Die E-Mobilität soll deutlich ausgebaut und innovative Lösungen für einen Treibhausgas-neutralen industriellen Sektor vorangetrieben werden.

Die Koalition arbeitet an der Umsetzung des Kohleausstieges – dem größten energiepolitischen Projekt der vergangenen 150 Jahre – und kann sich dabei auf einen breiten Konsens berufen, der auch umfassende Strukturhilfen für die Kohleregionen enthält. Bei aller berechtigten Kritik ist es der Großen Koalition in den vergangenen Monaten gelungen, den Wandel zur Treibhausgas-Neutralität deutlich zu beschleunigen, und zwar ohne – wie etwa in Frankreich – die ökologische Frage zu einem neuen gesellschaftlichen Großkonflikt zu machen. Ihr gelingt es damit, an das Leitbild der ökologischen Industriepolitik der rot-grünen Jahre anzuknüpfen. Das Klimapaket der GroKo ist ein Meilenstein in der politischen Debatte: Es geht nicht mehr ums „ob“, sondern ums „wie“.

Die „Operation Treibhausgas-Neutralität“ gleicht in einem der größten Industrieländer der Welt einer Herztransplantation: Das alte Modell taugt nicht mehr für die Zukunft, aber der Eingriff ist kompliziert. Die Energienetze müssen den Ausstieg aus der Atomkraft bis 2022 kalkulieren, sind heute allerdings kaum gerüstet, bald 65 Prozent an erneuerbaren Energien vom Norden in die Wirtschaftszentren des Südens zu transportieren. In der Automobilbranche steht mit seinen über 800.000 Beschäftigten ein Strukturwandel vor der Tür, dessen Auswirkungen, auch politisch, enorm sein werden. Viel deutet darauf hin, dass mit den Klimaprotesten auch die Skepsis gegenüber einem zu raschen Wandel steigt. Die AfD hat den Klimaschutz als Mobilisierungsthema längst entdeckt.

Die Energiewende braucht neue Infrastruktur und Beteiligung

In den kommenden zwei Jahren wird es deshalb nach dem koalitionären Klimagipfel auf die Bemühungen der Bundesebene ankommen. Sie muss den Ausbau der erneuerbaren Energien fördern und die Windenergie steigern. Neue Beteiligungsformen sind essentiell, ebenso die faire Verteilung von Lasten und Chancen der Energiewende. Das würde auch die Akzeptanz der Windkraft stärken. Es sollte uns ein Anliegen sein, Stadtwerke zu stärken und die Möglichkeiten für BürgerInnengenossenschaften zu verbessern, eigene Projekte zu entwickeln. Außerdem sollten Kommunen vor Ort stärker von den Gewinnen der Windkraft profitieren. Für eine Elektrifizierung des Verkehrssektors sind bessere und intelligentere Netze notwendig. Daher sollte der Ausbau dringend beschleunigt werden.

Neue Beteiligungsformen sind essentiell, ebenso die faire Verteilung von Lasten und Chancen der Energiewende.

Die Bahn muss wieder zu einer echten Bürgerbahn werden, die sich um den Fahrgast- und Gütertransport in Deutschland kümmert. Dies gelingt mit dichterer Taktung, besseren Netzen und der Elektrifizierung von Nebenstrecken. Der Güterverkehr muss endlich aus seinem Dornröschenschlaf erwachen. Es muss für Unternehmen auch attraktiv sein, einzelne Wagen auf die Reise durch Europa zu schicken. Ein neuer Konsens bei Infrastrukturprojekten muss angestrebt werden, der Klagemöglichkeiten auf das Notwendige begrenzt und neue Planungskapazitäten freisetzt. Wir müssen einen transparenten Markt für nachhaltige Geldanlagen schaffen und Anreize setzen, damit „grüne“ Investments populärer werden als „braune“.

Außerdem brauchen wir eine kohärente Forschungsagenda für eine Treibhausgas-neutrale Zukunft, anstelle von kleinteiligen Strategiepapieren. Ein neuer Begriff von Strukturförderung muss geschaffen werden, der aus den Wandelgeschichten im Ruhrgebiet und in Ostdeutschland lernt und Fehler nicht wiederholt. Es muss mehr Geld in Forschung und Entwicklung investiert werden, damit wir technologische Lösungen finden, die heute noch in weiter Ferne scheinen – zum Beispiel bei der Stahl- und Zementproduktion oder dem Flugverkehr. Das Klimaschutzprogramm ist ein Fahrplan. Die Weichen für eine Treibhausgas-neutrale Welt müssen aber noch gestellt werden. 


Dies ist ein Beitrag für den Blog „Progressives Regieren 2020plus“. In diesem setzen AutorInnen aus Wissenschaft, Wirtschaft und politischer Praxis Impulse für eine progressive Regierungsagenda ab 2020 und darüber hinaus. 


Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft als Chance für die Klimapolitik

Die EU-Ratspräsidentschaft im Herbst diesen Jahres bietet eine gute Gelegenheit, die europäische Dimension der Klimaschutzpolitik stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Unsere Ambition, bis Mitte des Jahrhunderts Treibhausgas-neutral zu sein, wird nur gemeinsam mit unseren europäischen PartnerInnen erfolgreich sein. Ein Großteil der Klima- und Produktstandards wird längst in Brüssel verhandelt, ein erweiterter Emissionshandel wird langfristig europäisch wirken müssen. Länder wie Frankreich, Spanien und die nordischen Länder drängen längst auf ambitioniertere EU-Ziele. Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat dazu mutige Vorschläge gemacht. Sie verdienen unsere Unterstützung.

Deutschland wird aber vor allem auch als Brückenbauer auftreten müssen. Länder wie Polen und Tschechien (und ihre Bevölkerungen) müssen erst noch gewonnen werden. Gemessen an ihren Wirtschaftsstrukturen haben sie ohnehin einen weiteren Weg zur Klimaneutralität vor sich. Auch hier zeigt sich, dass der einfache Ruf nach „immer schneller, immer mehr“ auf Dauer die Akzeptanz der Klimaschutzpolitik untergräbt. Es wird darum gehen, im Sinne einer „just transition“ eine gemeinsame Idee der Klimapolitik zu entwickeln, die auch in diesen Ländern Unterstützung findet.

Vor allem aber wird es für die progressiven Parteien darum gehen müssen, einen klimapolitischen Ansatz zu entwickeln, den das urbane Bürgertum, die Menschen, die im industriellen Sektor ihr Lohn und Brot verdienen, und Menschen mit kleinerem Geldbeutel unterstützen. Die derzeitigen moralisierenden Debatten nutzen niemandem: Sie übertragen die Last der Veränderung von der Gesellschaft auf die verständlicherweise überforderten BürgerInnen. In Anbetracht weltwirtschaftlicher Dynamiken sind diese Debatten symbolisch. Wir brauchen vielmehr ein Verständnis für die großen strukturellen Probleme unserer Wirtschafts- und Lebensweise, die nur gesamtgesellschaftlich – das heißt auch mit der dauerhaften Unterstützung einer großen Mehrheit der Bevölkerung – und im Grunde nur von der Weltgemeinschaft gemeinsam zu lösen sind. 

Pragmatische Schritte statt großer Transformation

Klimaschutz muss zu einem gesellschaftlichen Reformprojekt werden, das möglichst viele Menschen einbezieht und konkrete Aussichten auf ein besseres Leben schafft. Die deutsche Klimapolitik braucht Ambitionen, ebenso wie gesellschaftspolitische Sensibilität. Sie braucht „konkrete Utopien“, die vermitteln, wo die Reise hingeht. Sie muss Menschen überzeugen, die konkrete Nachteile wie den Verlust des Arbeitsplatzes oder weniger Lebensqualität befürchten. Sie darf nicht ausschließlich Merkmal soziokultureller Distinktion sein, die von der breiten Mehrheit der Bevölkerung getragen werden muss.

Klimaschutz muss zu einem gesellschaftlichen Reformprojekt werden, das möglichst viele Menschen einbezieht und konkrete Aussichten auf ein besseres Leben schafft.

Es geht in der Klimapolitik nicht darum, den besseren Menschen zu schaffen, sondern um eine umfassende Modernisierungsagenda für unsere Volkswirtschaft. Die deutsche Klimapolitik kann nur erfolgreich sein, wenn sie auch international aufgegriffen wird. Sie sollte deshalb auf Innovationen und Investitionen setzen. Sie sollte sich an ihrer Wirksamkeit messen lassen und keine gesellschaftlichen Scheingefechte führen. Klimapolitik braucht neue gesellschaftliche Bündnisse. Der Wandel zur Treibhausgas-Neutralität kann von der Politik unterstützt und initiiert werden. Sie gelingt vor Ort in den Betrieben, Fabriken und Büros, in den Kommunen, in den eigenen vier Wänden. Klimapolitik braucht pragmatische Schritte, nicht die permanente „große Transformation“.

Diese Bereiche und ihre VerantwortungsträgerInnen sollten konkret und pragmatisch adressiert und bei der Suche nach Lösungen eingebunden werden. Die Klimafrage war bislang ein Verunsicherungsthema, das die einen mit dem Ende des Planeten, die anderen mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes verknüpfen. Sie muss zum Gestaltungsthema werden. Sie sollte keine Untergangsvisionen, sondern Zukunftsvertrauen hervorbringen. Es muss der Anspruch einer sozial gerechten Klimapolitik sein, Ambition und Innovation mit der Gerechtigkeitsfrage zu verbinden. Klimapolitik ist auch eine Frage der gerechten Verteilung gesellschaftlicher Kosten und der Teilhabe an den Chancen der Klimapolitik. 

Autor

Christian Büchter ist Mitarbeiter in der SPD-Wahlkampagne und Mitglied der Arbeitsgruppe „Europäische Wirtschafts- und Fiskalpolitik“ des Progressiven Zentrums.

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