Jetzt vorwärts, Genossen!

Ein Meinungsbeitrag von Dominic Schwickert und Fedor Ruhose

Der Weg für die Regierungsarbeit der SPD ist frei. Nach dem geglückten Mitgliedervotum und einer klugen Auswahl an MinisterInnen atmet die Parteispitze auf. Doch der drohende Niedergang der Sozialdemokratie ist keinesfalls abgewendet. Die zentrale Frage lautet: Wie kann die Partei die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl nutzen, um sich aus ihrer existenzgefährdenden Lage zu befreien?

Die Mitglieder der SPD haben mit einer deutlichen Mehrheit von 66 Prozent für die Große Koalition gestimmt. Nun ist auch die offizielle Entscheidung darüber gefallen, welche Ministerinnen und Minister die SPD in die Regierungsverantwortung schickt. Die Personalauswahl signalisiert Stabilität und (zumindest ein wenig) Aufbruch. Alte Zöpfe wurden selbstbewusst abgeschnitten.

So werden Sigmar Gabriel und Barbara Hendricks dem neuen Kabinett nicht mehr angehören. Stattdessen entsendet die SPD mit dem kommissarischen SPD-Chef Olaf Scholz als Bundesfinanzminister und Vizekanzler, Heiko Maas als Bundesaußenminister, Hubertus Heil als Bundesarbeitsminister sowie Katharina Barley als Bundesjustizministerin einige bundespolitisch profilierte Köpfe mit Erfahrung und Durchschlagskraft. Aber auch einige neue Gesichter: Svenja Schulze als Umweltministerin und – sicherlich die größte Überraschung – Franziska Giffey, die das Familienministerium verantworten wird.

Die gute Nachricht: Das neue Kabinett ist – zumindest auf sozialdemokratischer Seite – das bislang jüngste und dynamischste, noch dazu mit dem höchsten Frauenanteil. Im Konzert mit Andrea Nahles, Fraktionschefin und künftige Parteichefin in Personalunion, sowie Generalsekretär Lars Klingbeil sind die Chancen für ein strategisches Zentrum, das die Regierungs-, Fraktions- und Parteiarbeit effektiv verzahnt und entsprechend orchestriert, so groß wie seit Jahren nicht mehr. Die Zeichen stehen auf Führung nicht (nur) nach Basta-Mentalität, sondern mit echtem Teamgeist. Die Tatsache, dass die künftige Parteivorsitzende und ihr Generalsekretär keinerlei Kabinettsdisziplin unterworfen sein werden, eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, um jenseits des manchmal grauen Regierungsalltags sozialdemokratische Akzente zu setzen.

Soweit der optimistische Blick auf eine Partei, deren Bedeutung und Verantwortung in der aktuellen welt- und europapolitischen Lage weit größer ist als es die aktuelle parteiinterne Stimmung und auch die öffentliche Wahrnehmung widerspiegelt. Und genau das ist das Problem.

Die Hypothek der SPD

Denn auch die personellen Hoffnungsschimmer sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der schwierige Weg der SPD in die Große Koalition einen Preis hatte – und haben wird. Mindestens kurzfristig bleibt ein großer kommunikativer Schaden für die Partei nicht zuletzt nach der desaströs dilettantischen Personalpolitik von und um Martin Schulz, die den ohnehin schon prekären Zustand der Partei noch weiter verschärft hat. Die Hypothek lässt sich in einer Zahl ausdrücken: 16 Prozent! Bei diesem historisch schlechten Wert steht die SPD derzeit in den Umfragen der Wahlforschungsinstitute. Und das Schicksal der europäischen Schwesterparteien in einst sozialdemokratischen Hochburgen wie Frankreich, Niederlande und neuerdings auch Italien ist da eine deutliche Warnung: die völlige politische Irrelevanz ist trotz erneuter Regierungsbeteiligung weitaus mehr als ein abwegiges mittelfristiges Szenario.

Es geht also ums Ganze für die SPD: Wie kann die Partei sicherstellen, sich in vier Jahren nicht wieder in einer so misslichen Lage zu befinden, wie in den letzten Wochen?

Glaubwürdigkeit zurückgewinnen

An erster Stelle steht die eigene politische Glaubwürdigkeit. Im aktuellen Deutschlandtrend der ARD sagen nur noch 35 Prozent der Wählerinnen und Wähler, dass die SPD glaubwürdig ist. Die SPD muss harte Aufbauarbeit leisten und verlorengegangene Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Glaubwürdigkeit kann eine sozialdemokratische Partei nur erlangen, wenn sie zugleich zuhört, lebendig diskutiert und trotzdem geschlossen wirkt. Und ja: auch gut gelaunt daherkommt. Daher muss der Parteivorstand den Prozess der kritischen innerparteilichen Debatte fortsetzen und mit der Basis in regelmäßigen Foren online, aber vor allem vor Ort über die großen gesellschaftlichen Zukunftsfragen debattieren und die oft allzu abstrakt diskutierte Frage nach mehr sozialer Gerechtigkeit sehr konkret adressieren.

Dass Menschen sich für eine Diskurs- und Beteiligungspartei interessieren zeigen die Parteieintritte zahlreicher (junger) Menschen während des Mitgliedsentscheids. Deshalb müssen weitere Formen der innerparteilichen Beteiligung angeboten werden. Gleichzeitig muss die SPD in das Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern gehen. Überall dort, wo sie in den vergangenen Jahren Wahlen gewonnen hat – in Hamburg und Rheinland-Pfalz, in Brandenburg und Niedersachsen – hat die SPD den Kontakt zu den Menschen intensiv gesucht. Bestehende Formate wie die Hausbesuchs-Tour der SPD-Bundestagsfraktion sollten breit ausgebaut werden. Die SPD sollte – gerade auch wenn sie als Regierungspartei in besonderer Verantwortung steht – Offenheit, Diskursfreude und zugleich Orientierung ausstrahlen.

Partei der „doppelten Sicherheit“

Die zweite Aufgabe besteht für die SPD darin, sich als treibende Kraft in der Regierung zu profilieren. Auch aus der Koalition heraus muss sie den programmatischen Unterschied zur CDU deutlich machen. Das haben bisher alle Koalitionspartner von Merkel probiert, ohne eine wirklich taugliche Lösung zu finden. In einer erfolgversprechenden Strategie positioniert sich die SPD als „Partei der doppelten Sicherheit“. Diese umfasst zum einen die „Öffentliche Sicherheit“, denn ein „sicheres Leben“ gehört zu den wichtigsten Gütern, die eine Regierung garantieren muss. Zum anderen gehört zur „doppelten Sicherheit“ der traditionelle Markenkern der SPD, nämlich die „soziale Absicherung“ von Menschen in allen Lebenslagen. Mit den Konzepten der „doppelten Sicherheit“ kann die SPD strategisch an die erfolgreichen Wählerkoalitionen zwischen sicherheitsbedürftiger Arbeitnehmerschaft und linksliberaler Mittelschicht anknüpfen. Dadurch lässt sich die gesellschaftliche Modernisierung mit der Stärkung kollektiver Absicherungswünsche in den Sozialsystemen verbinden. Die Vorhaben zu Rente, Arbeitsmarkt und im Gesundheitsbereich kann beispielweise ein starker Bundesarbeitsminister vorantreiben. Und selbst wenn das Innenministerium künftig von der CSU geführt wird, sollte die Bundes-SPD z.B. in der Migrations- und Integrationspolitik oder bei Fragen der öffentlichen Sicherheit gemeinsam mit den sozialdemokratischen InnenministerInnen der Länder oder den vielen sozialdemokratischen Oberbürgermeistern neue inhaltliche Impulse entwickeln.

Gleichzeitig gilt: Soziale Absicherung kann – zumal bei Parteien mit progressivem Anspruch – letztlich nur zusammen gedacht werden mit einem Aufstiegsversprechen für möglichst viele Menschen. Wie groß der politische Handlungsdruck gerade beim Thema „soziale Mobilität“ ist, zeigt nicht zuletzt die jüngst veröffentlichte Studie des Kie­ler In­sti­tuts für Welt­wirt­schaft (IfW). Sie macht deutlich, dass der Zu­sam­men­hang zwi­schen Le­bens­um­feld sowie so­zia­le Stel­lung der Eltern (und Groß­el­tern) einerseits und ei­ge­nem ge­sell­schaft­li­chen Status andererseits in Deutschland noch stärker ist als gemeinhin angenommen. Hier bedarf es neuer konzeptioneller Impulse, aber auch Personen, die das Thema glaubwürdig verkörpern und vorantreiben (die ersten Presseauftritte der bisherigen Bürgermeisterin im Berliner Problembezirk Neukölln und künftigen Familienministerin, Franziska Giffey, dürfen in diesem Sinne zumindest hoffnungsvoll stimmen).

Neue Bündnisoptionen

Damit die SPD wieder mehrheitsfähig wird, muss sie sich aber auch drittens in den nächsten Jahren neue Bündnisoptionen erarbeiten. Nur wer die Perspektive einer Mehrheit anbieten kann, wird diese auch erreichen. Bei den Bundestagswahlen der letzten Jahre konnte die SPD nicht mehr glaubhaft deutlich machen, in welcher Konstellation sie überhaupt regieren kann. Wie könnten neue Bündnisoptionen aussehen? Welche neuen Machtoptionen sind denkbar, wenn eine traditionelle Koalition aus nur zwei Parteien immer unwahrscheinlicher wird? Die Bindungen mit den Gewerkschaften sollten weiter gestärkt werden, besonders um gemeinsam der aufkommenden Welle des Autoritarismus entgegenzuwirken. So sollte der Gewerkschaftsrat der SPD auf der Bundesebene einen großen Stellenwert einnehmen. Gleichzeitig sollte die Partei ihre Kontakte auch zu den sozialen Bewegungen und Initiativen wieder intensivieren und somit eine soziale Bündnisstrategie verfolgen – auf der Bundesebene, aber gemeinsam mit den Landesverbänden und Bezirken auch auf regionaler Ebene.

Diese drei Prozesse – innerparteiliche Zukunftsdebatten, solide Regierungsarbeit u.a. auf Basis des Konzepts der doppelten Sicherheit sowie neue strategische Allianzen mit der Zivilgesellschaft – müssen Hand in Hand gehen und sich gegenseitig verstärken: Aus dieser programmatischen und strategischen Erneuerung ergibt sich der Erfolgsweg der SPD. Die Partei kann in der Großen Koalition existenziell unter Druck geraten – oder am Ende der Legislaturperiode als wesentliche gestaltende Kraft der deutschen Politik wahrgenommen werden. Optimismus und Erneuerungsfreude sind für die SPD nicht nur Optionen unter vielen – sie sind schlicht das einzige Geschäftsmodell. Damit ist die Richtung klar: Vorwärts, Genossen!


Der Artikel ist am 11.03.2018 auf Carta erschienen und kann hier nachgelesen werden.

Autoren

Dominic Schwickert

Geschäftsführer des Progressiven Zentrums
Dominic Schwickert ist seit Ende 2012 Geschäftsführer des Progressiven Zentrums. Er hat langjährige Erfahrung in der Politik- und Strategieberatung (u.a. Stiftung Wissenschaft und Politik, Bertelsmann Stiftung, IFOK GmbH, Stiftung Neue Verantwortung, Deutscher Bundestag, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie).

Fedor Ruhose

Policy Fellow
Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz.

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