Europa oder #Ibizagate: Ihr habt die Wahl, nutzt sie!

Ein Wahlaufruf zur Europawahl von Policy Fellow Florian Ranft

Am kommenden Sonntag, den 26. Mai 2019, entscheidet sich die Zukunft Europas. Rechtspopulisten könnten in der Europawahl auf 100-120 Sitze im Europaparlament kommen. Das ist besorgniserregend, doch die eigentliche Gefahr geht von einer geschlossenen rechten Kampagne gegen die EU aus – und von NichtwählerInnen.

Seit Donnerstag heißt es wieder „Europa geht wählen“. Und es rappelt auf dem Kontinent. Salvini vereint die rechtspopulistischen Parteien in Mailand zur Schlussmobilisierung. Strache und die FPÖ Österreich liefern eine Kostprobe davon, was für sie Rechtsstaatlichkeit, nationale Souveränität und Medienfreiheit bedeutet. Nichts. Und in Großbritannien wird mit ziemlicher Sicherheit ein Verächter des europäischen Projekts erneut die Wahlen gewinnen – Nigel Farage. Um die Europäische Union war es schon mal besser bestellt, aber man hat sich an die zyklischen Krisen mittlerweile gewöhnt. Um dem etwas entgegenzusetzen, gibt es ein simples Rezept.

Dabei lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Zehn Jahre ist es her, dass die globale Wirtschafts- und Finanzkrise mit der Pleite von Lehman-Brothers um sich griff. Zehn Jahre in denen allein in Deutschland mindestens 68 Milliarden Euro öffentlicher Gelder für die Bankenrettung ausgegeben wurden. „Alternativlos“ sei dies gewesen, wie von einer höheren Macht bestimmt, bei der die Politik nur Zaungast war. Infolgedessen sanken das Vertrauen in politische Institutionen und Akteure. In diesen Zeiten der Krise und des Verdrusses erlebte das Bürgertum ein überraschendes Comeback. Es begehrte auf, der Wutbürger war geboren und aus Skepsis gegenüber der Eurorettung gründete Bernd Lucke die AfD.

Seitdem hat sich das Fundament der politischen Landschaft in Deutschland und Europa grundlegend verändert. Das liegt auch daran, dass es bisher ist nicht gelungen, dringend benötigtes Vertrauen breiter Teile der Bevölkerung zurückzugewinnen. Immer noch haben viele Bürger das Gefühl, dass die Kräfte der Globalisierung und Finanzmärkte kaum demokratisch kontrollierbar und regierbar sind. Nach Adam Tooze, seines Zeichen Wirtschaftshistoriker an der Columbia University, gebe es eine klare Linie zwischen der Finanzkrise und dem Erstarken des Populismus im Westen. Wo politische und wirtschaftliche Eliten es nicht vermögen, die Komplexität der Wirtschaft zu vermitteln und einen gesellschaftlichen Werte- und Grundkonsens für die Zukunft zu formen, haben Populisten einfaches Spiel.

Für Europa und die EU geht es bei der Wahl zum Europäischen Parlament am kommenden Sonntag um viel, wenn nicht gar um alles.

Für Europa und die EU geht es bei der Wahl zum Europäischen Parlament am kommenden Sonntag um viel, wenn nicht gar um alles. Nicht weil rechtspopulistische Parteien mit erheblichen Zuwächsen rechnen können – die werden aller Erwartung nach moderat ausfallen. Sondern weil sie weiterhin das Momentum auf ihrer Seite wägen und geschlossener denn je auftreten. Was pro-europäische Parteien jetzt brauchen, ist gemeinsam für eine freie, transparente, bürgernahe und sozial gerechte EU einzustehen. Sonst könnte die Union in ihrer jetzigen Form bereits bald der Geschichte angehören und sich gesteuert von den eigenen Institutionen selbst zersetzen. In der Wahl stehen sich jene gegenüber, welche die EU erhalten, und jene, welche sich hinter nationale Barrikaden und Grenzen zurückziehen wollen.

Die Strategiepapiere zur Europawahl der pro-europäischen EU-Parteien waren im vergangenen Juli noch nicht einmal durch die Parteimühlen gegangen, da warteten die Populisten mit einem Paukenschlag auf. Das Mastermind der erfolgreichen Trump-Wahlkampagne hatte angekündigt, den EU-Rechtspopulisten Orbán, Salvini & Co. Schützenhilfe zu leisten. Inhaltlich kündigte Steve Bannon eine deftige Prise Nationalismus mit dem Ziel der Spaltung der EU an. Es versteht sich von selbst, dass dabei die Staatsgewalt dem Volk wieder übertragen werden soll. Der komplette Verzicht auf anspruchsvolle Lösungen zu den wichtigsten wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen der Zeit wird dabei billigend in Kauf genommen, auch weil hier die größte Spaltungsgefahr der heterogenen Wählerschaft lauert. So kann man es auch in den Strategiepapieren der AfD nachlesen.

Nach aktuellen Umfragen kämen die rechtspopulistischen Parteien in den Fraktionen der Europäischen Allianz der Völker und Nationen, der Europäischen Konservativen und Reformer und von Europa der Freiheit und der direkten Demokratie auf über 100-120 Sitze im Europaparlament. Mit einem solchen Ergebnis wären sie vereint die drittstärkste Fraktion. Über einen Kamm scheren lassen sich die Parteien am rechten Rand nicht, vertritt etwa die Front National dezidiert ausländer- und islamfeindliche Positionen, sind FPÖ, Lega Nord oder Die Finnen an der Regierung beteiligt.

Gefährlicher noch als der Machtgewinn im Parlament könnte daher der emotionale Auftrieb einer rechts-kollektiven Kampagne gegen die EU sein.

Sie gehören in ihren Ländern mittlerweile zum politischen Mainstream. Was sie auf europäischer Ebene vereint, ist das Ziel, nationale Souveränität zurückzugewinnen und die EU im Laufe der nächsten Legislaturperiode entscheidend zu schwächen. Gefährlicher noch als der Machtgewinn im Parlament könnte daher der emotionale Auftrieb einer rechts-kollektiven Kampagne gegen die EU sein. Ein „wir sind wieder wer“ und „jetzt erst recht“ hätte langfristig schlimmere Folgen für Europa, wenn sich der Stimmungsgewinn in Wahlen auf nationaler Ebene katalysiert. Ein Scheitern der EU wäre daher auf lange Sicht nicht ausgeschlossen.

Für pro-europäische Parteien gilt es jene zu mobilisieren, die bei der letzten Wahl fernblieben. Das sind in Deutschland 52 Prozent der Wahlberechtigten. Mehr als die Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung hat 2014 nicht gewählt. Das ist fatal, denn als fast sicheres Mittel gegen Wahlgewinne der Rechtspopulisten gilt eine hohe Wahlbeteiligung. Ein Effekt, der sich verstärkt, wenn politisch interessierte und junge Zielgruppen angesprochen werden. Viel wird also darauf ankommen, dass wir Unentschlossene in den Tagen und Stunden vor der Wahl vom Gang zur Urne überzeugen. Es lohnt sich. So können die Türen für Rechtspopulisten in Europa geschlossen bleiben.

Autor

Florian Ranft

Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter | Green New Deal
Florian Ranft ist Mitglied der Geschäftsleitung und verantwortet den Schwerpunkt „Green New Deal“ des Progressiven Zentrums.

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