Die Coronakrise trifft die USA

Gespaltene Gesellschaft, angeschlagene Wirtschaft und Politik ohne Kompass

„My message to everyone struggling right now is this: Help is on the way“, twitterte der designierte Präsident der USA, Joe Biden, am 1. Dezember 2020. Am Ende des Jahres 2020 haben nicht nur viele Amerikanerinnen und Amerikaner mit der Covid-19 Gesundheitskrise zu kämpfen, sondern auch mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen.

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In der Corona-Pandemie ist offensichtlich geworden, dass der Exzeptionalismus der USA vor allem darin besteht, mit der Krise vollkommen überfordert zu sein. Es gab weder politische Führung auf nationaler Ebene noch einen Gemeinsinn in der Bewältigung der Krise. Stattdessen hat das Land mit sich selbst zu tun, ja ringt geradezu mit sich. Die US-amerikanische Gesellschaft ist verunsichert. Konkret sind die Bürger*innen in ihrer physischen Unversehrtheit bedroht und fürchten um ihre ökonomische Existenz. Wie unter einem Brennglas sind in der Covid-19-Krise die sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede, die Ungerechtigkeit der Gesellschaft und die unmenschlichen Verwerfungen des Gesundheitssystems hervorgetreten. So wurde auch das Entstehen der sozialen Proteste und Bewegungen begünstigt, die das Land verändern.

Corona in den USA: Gesundheitsversorgung überlastet

Die Corona-Pandemie hat die Mängel des US-amerikanischen Gesundheitssystems schonungslos offen gelegt: So sind mehr als 280 000 AmerikanerInnen der Krankheit erlegen, fast 15 Millionen haben sich an dem Virus infiziert.[1] Die Pandemie hat alle Teile des Landes erreicht und zum Winteranfang steigt die Zahl der Neuinfektionen und Todesfälle rasant an. Am Ende der Krise werden die USA im Vergleich zu den anderen Industriestaaten sehr wahrscheinlich die meisten Opfer zu beklagen haben, und zwar sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung.[2]

Die USA sind von der globalen Covid-19 Pandemie von allen hoch entwickelten Industriestaaten am härtesten getroffen worden. Einer der Hauptgründe liegt darin, dass das US-Gesundheitssystem denkbar schlecht auf die Pandemie vorbereitet war. Da mehr als 27 Millionen AmerikanerInnen bereits vor Corona keine Krankenversicherung besaßen und 44 Millionen weitere nur minimal versichert waren – und damit Angst vor möglichen Kosten einer Erkrankung oder eines Krankenhausaufenthaltes hatten – sind viele trotz Erkrankung nicht zum Arzt gegangen. Das hat Infektionsraten massiv beschleunigt. Die ärmsten Personen, die auch in den USA aufgrund ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen zu denen mit dem höchsten Infektionsrisiko gehören, konnten in vielen Bundesstaaten zudem nicht das für sie eingerichtete „Medicaid-Programm“ nutzen: 14 Staaten beteiligen sich nicht an dem vom Bund mitfinanzierten Versicherungsprogramm und der Bund weigerte sich unter der Trump-Regierung, das Programm landesweit für den Notfall besser finanziell auszustatten.

Dazu kam das unterentwickelte System der Primärversorgung. Akut Erkrankte suchten deshalb Notfallaufnahmen in Krankenhäusern auf, was nicht nur zur Überlastung, sondern auch weiteren Infektionen führte. Auch machte es den breiten Einsatz und die Akzeptanz von Tests schwieriger.

„Erkrankte hatten auch deshalb einen Anreiz, weiter zur Arbeit zu gehen, da viele AmerikanerInnen keine bezahlten Krankentage haben. Nicht zu arbeiten bedeutet dann, kein Geld zu verdienen.

Erkrankte hatten auch deshalb einen Anreiz, weiter zur Arbeit zu gehen, da viele AmerikanerInnen keine bezahlten Krankentage haben. Nicht zu arbeiten bedeutet dann, kein Geld zu verdienen. Es gibt kein bundesweites Gesetz zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und nur 13 Bundesstaaten sowie der District of Columbia hatten im März 2020 gesetzliche Regelungen, die Arbeitgeber dazu verpflichten, Krankengeld zu zahlen.[3]

Die bundesweite Notfallvorbereitung war ebenso mangelhaft. Seit Jahren ist die Finanzierung für gesundheitliche Katastrophenbereitschaft gesunken. Die zwei wichtigsten Bundesprogramme haben zwischen 2003 und 2020 mehr als die Hälfte ihrer Budgets eingebüßt: von 1,4 Mrd. US-Dollar auf heute nur noch 662 Millionen.[4]

Schließlich standen die Bundesstaaten sehr schnell vor finanziellen Engpässen. Mit Einbruch der Steuereinnahmen und der gestiegenen Ausgaben zur Krisenbekämpfung sahen sich viele US-Bundesstaaten großen Haushaltslöchern gegenüber: Das Center on Budget and Policy Priorities hat berechnet, dass den Staaten im Haushaltsjahr 2020 im Durchschnitt Steuereinnahmen von 6,4 Prozent fehlten, während gleichzeitig die Ausgaben stiegen.[5] Da die meisten von ihnen, anders als der Bund, keine Schulden machen dürfen, blieb ihnen oft keine andere Wahl, als (Gesundheits-)Leistungen zu kürzen und öffentlich Beschäftigte zu entlassen.


Der Blog
Corona & Society: Nachdenken über die Krise
Was können Gesellschaft und Politik programmatisch-konzeptionell aus der Krise lernen?


Präsident Trump – Spalter der Nation

Die wachsende Ungleichheit hat sehr verschiedene Lebensrealitäten in den USA geschaffen. Allein daraus ist ein großer Schaden für die amerikanische Demokratie und Gesellschaft entstanden. Die großen Lebensrisiken sind in den USA unzureichend durch die öffentliche Hand abgesichert, daher sind die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie immens. Hohe Arbeitslosigkeit und unzählige Geschäftsschließungen und Pleiten treffen die Arbeitnehmerschaft und die Mittelschicht der USA hart. Ein krasser Gegensatz, schaut man auf den noch immer sehr lukrativen Aktienmarkt.

Hinzu kommt das komplette Versagen des Rechtspopulismus amerikanischer Prägung im Angesicht der Krise. Bis heute gibt es im Land keinen einheitlichen von der Bundesregierung gesteuerten Umgang mit der Pandemie. Offensichtlich war Präsident Trump mit dieser komplexen Krise überfordert. Trump selbst hat die Pandemie zu keinem Zeitpunkt ernst genommen, auch nicht als er im Oktober selbst erkrankte. Bereits Ende Januar 2020 war dem Nationalen Sicherheitsrat im Weißen Haus klar, dass dies die größte Herausforderung der Präsidentschaft werden würde.[6]

In der VR China wurde deutlich, wie ansteckend und verheerend die Corona-Pandemie wirken würde. Dem Weißen Haus lagen diese Informationen vor. Trotzdem wurde nichts unternommen und kostbare Wochen in der Krisenreaktion verschenkt. Noch im Februar sprach Präsident Trump dem chinesischen Präsidenten sein vollstes Vertrauen im Umgang mit der Krise aus, versäumte es aber, die eigene Bevölkerung eindeutig über die drohende Gefahr zu informieren und die US-Regierung im Kampf das Virus in Stellung zu bringen. Als das Virus dann in den USA zuschlug, versuchte Trump immer noch, die Bevölkerung zu beruhigen, anstatt zu informieren und einfachste Hygieneregeln zu propagieren.

Im Gegenteil: Trump spielte die Krankheit herunter und verbreitete Falschinformationen und unseriöse Behandlungsmethoden. Er hat Experten misstraut und Fakten ignoriert und konnte daher gar nicht zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Krise finden. Stattdessen machte Trump stets China für die Ausbreitung des Virus verantwortlich und tat so, als ob die Bundesregierung alles in ihrer Macht Stehende tun würde, um der Krise Herr zu werden.

Die Wirklichkeit sah freilich anders aus. Unklare Zuständigkeiten, fehlende Koordinierung der Staaten und lokaler Behörden, Entscheidungsunfähigkeit, Verkennen der Realität, Nepotismus und sowohl wechselnde wie auch sich widersprechende Politikansätze haben dazu geführt, dass die Pandemie in den USA außer Kontrolle geriet und auch die entstandene Wirtschaftskrise bisher nicht nachhaltig und mit Nachdruck angegangen werden konnte.  Die Trump-Administration und viele Republikanisch geführte Bundesstaaten sind und waren nicht in der Lage, reale Probleme zu lösen oder sich um die praktischen Bedürfnisse der Bevölkerung zu kümmern, vielmehr lenkten sie durch Desinformation und Angriffe auf vermeintliche innere wie äußere Gegner von den realen Problemen und dem eigenen Versagen ab.

„Durch das Versagen der Bundesregierung in der Krise verharrt das Vertrauen der breiten Bevölkerung in diese auf historisch niedrigem Niveau: nur jeder Fünfte Amerikaner vertraut der Regierung“

Trump nutzte emotionale Notlagen aus, um das Land weiter zu spalten. Letztendlich überspannte er aber den Bogen. Die selbst vorangetriebene Polarisierung der Gesellschaft, sein Versagen im Umgang mit der Corona-Pandemie und die einsetzende Rezession kosteten ihn die Präsidentschaft. Joe Biden gewann die Wahl, da er sich zusammen mit Kamala Harris als die bessere und vor allem kompetentere Alternative präsentierte. Joe Biden strahlt Vertrauen aus, wo Misstrauen herrscht. Durch das Versagen der Bundesregierung in der Krise verharrt das Vertrauen der breiten Bevölkerung in diese auf historisch niedrigem Niveau: nur jeder Fünfte Amerikaner vertraut der Regierung.[7]

Joe Biden und seine Administration werden nach der Amtseinführung am 20. Januar 2021 neben der Gesundheitskrise mit einer Wirtschaftskrise, einer Regierungskrise und mit einer Vertrauens- und damit auch Gesellschaftskrise konfrontiert sein. So ist vielleicht zu verstehen, dass sich trotz des Wahlsieges der Demokraten bei der Präsidentschaftswahl keine Aufbruchsstimmung ausbreitet – zu groß sind die Probleme des Landes und die Aufgaben der neuen Regierung. Die Führungsmacht USA ist angeschlagen und durch die Covid-19 Pandemie in Verbindung mit der unfähigen und disruptiven Präsidentschaft von Donald Trump in eine Krise geraten, aus der Joe Biden das Land wird herausführen müssen. Ja, Hilfe ist dringend von Nöten. „Bring it on“, kann man Joe Biden da nur zurufen!


Dieser Text wurde im Dezember 2020 verfasst. Es handelt sich um einen Auszug aus einem Meinungsbeitrag von Knut Dethlefsen, der im März 2021 im Forschungsjournal „Neue Soziale Bewegungen“ erscheinen wird. 


Knut Dethlefsen leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington D.C. Zuvor leitete er die Büros der FES in Warschau, Ost-Jerusalem und Shanghai.

Referenzen

[1] https://www.nytimes.com/interactive/2020/us/coronavirus-us-cases.html

[2] https://www.swp-berlin.org/10.18449/2020S24/ S.5

[3] https://www.epi.org/blog/covid-19-pandemic-makes-clear-that-we-need-national-paid-sick-leave-legislation/

[4] https://www.washingtonpost.com/business/economy/the-us-health-system-is-showing-why-its-not-ready-for-a-coronavirus-pandemic/2020/03/04/7c307bb4-5d61-11ea-b29b-9db42f7803a7_story.html

[5] https://www.cbpp.org/research/state-budget-and-tax/states-grappling-with-hit-to-tax-collections

[6]  Bob Woodward, Rage, New York 2020, S. XIII-XXII.

[7] https://www.pewresearch.org/politics/2020/09/14/americans-views-of-government-low-trust-but-some-positive-performance-ratings/pp_09-14-20_views-of-government-00-1/

Autor

Knut Dethlefsen

Friedrich-Ebert-Stiftung
Knut Dethlefsen leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington D.C. Zuvor leitete er die Büros der FES in Warschau, Ost-Jerusalem und Shanghai.

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