Der Politik droht Polarisierung

Die nun erfolgte Regierungsbildung darf nicht über eine zunehmende Polarisierung der spanischen Bevölkerung hinwegtäuschen

Mit Sicherheit wäre es auch schneller gegangen, aber immerhin: 315 Tage regierte Rajoy mit einer kommissarischen Regierung. Trotz seiner Wiederwahl verfügen die Konservativen über keine eigene Regierungsmehrheit. Es gilt, die Erwartungen zu dämpfen, denn der Dauerwahlkampf droht in die parlamentarischen Institutionen getragen zu werden.

Was bisher geschah

Der Plot der spanischen Politik der letzten Monate ähnelt einem shakespeareschen Königsdrama. Ein Spiel um Macht, voller Kehrtwenden, persönlicher Interessen und überraschender Wendungen. So geht Mariano Rajoy, dessen Partei bei der ersten von zwei Wahlen im vergangenen Dezember noch eine krachende Niederlage erfahren hat, als Regierungschef hervor. Dabei wird man das Gefühl nicht los, Merkels CDU hätte der spanischen Schwesterpartei ein paar kompetente Berater geschickt: Rajoy arbeitet ebenso hart daran, regungslos zu wirken, wie es Merkel bisweilen tut. Die Fehler begehen die Anderen. Bereits früh nach der Wahl im vergangenen Dezember erkannte Rajoy die Notwendigkeit, die Verantwortung für die Regierungsbildung auf Sozialdemokraten (PSOE) und Liberale (CIUDADANOS) abzuwälzen – die unvereinbaren, persönlichen Machtinteressen der Oppositionspolitiker würden ihm zum Vorteil gereichen. Und tatsächlich tat man ihm den Gefallen – allen voran Pablo Iglesias, Vorsitzender der neuen Linkspartei PODEMOS und bekennender Fan von The Game of Thrones.

Der Wahl im Dezember folgte zunächst ein erfolgloser Versuch eine progressive Regierung zu bilden, dann ein zweite, polarisierte Wahl aus der Rajoy gestärkt hervorgegangen ist. Über den Sommer konnte er in aller Ruhe den Sozialdemokraten dabei zusehen, wie sie zwischen der Möglichkeit einer dritten Wahl, die ihnen die Oppositionsführung gekostet hätte, und der Duldung einer konservativen Regierung schwankten. Und dennoch scheiterte Ende August der erste Versuch Rajoys zum Regierungschef gewählt zu werden. Die Auflösung des Dramas vollzog sich schließlich rasant entlang eines klaren Protokolls: Nach dem Rücktritt des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden ermöglichte die Enthaltung der PSOE im zweiten Wahlgang die Wahl Rajoys zum Regierungschef. All diese Monate über entzog sich dessen kommissarische Regierung systematisch der parlamentarischen Kontrolle (anhängig beim Verfassungsgericht). Der Plot ist jedoch nicht zu Ende – nichts ist gewonnen mit der Regierungsbildung.

Was zu erwarten ist

315 Tage waren Politik und Ministerien gelähmt. Und dennoch überraschte Spanien – entgegen aller Befürchtungen – mit einem starken Wirtschaftswachstum. Der kommissarischen Regierung war es nicht erlaubt Minister nachzubenennen, wenn sie etwa von Rajoy in ein internationales Amt befördert wurden oder aufgrund von Korruptionsskandalen zurücktreten mussten. Am Verhandlungstisch in Brüssel waren spanische Vertreter noch stiller als sonst.

Was Rajoy verspricht, wird man in Berlin und andernorts gern hören: 500 000 neue Jobs pro Jahr, die Einhaltung europäischer Verträge und Defizitgrenzen sowie die Wahrung der territorialen Einheit des Landes. Angesichts unzähliger europapolitischer Herausforderungen hofft man in der Bundesregierung wohl, dass Spanien nun keine Schlagzeilen mehr machen wird. Doch bereits die überfällige Verabschiedung des kommenden Staatshaushaltes könnte aufdecken, was wirklich zu erwarten ist. Zwar verspricht Rajoy einen Stilwechsel und kündigt an, anderen Parteien die Hand zu reichen, doch angesichts der Hängepartien und taktischen Winkelzüge der letzten Monate erscheint dies wenig glaubwürdig. Zahlreiche Parteimitglieder seiner Partido Popular (PP) stehen in Korruptionsverfahren vor Gericht und selbst die Parteizentral ist im Rahmen eines Verfahrens durchsucht worden. CIUDADANOS, die natürlichen Partner der PP, behandelte Rajoy im Wahlkampf wie lästige Praktikanten. Oftmals scheinen die Konservativen von PP ein natürliches Recht auf die Regierungsführung zu beanspruchen. Angesichts unklarerer Mehrheiten und komplexer gesellschaftlicher Bruchlinien muss es nun jedoch darum gehen, gemeinsam eine Reformagenda zu finden und sozialen Zusammenhalt immer wieder neu zu konstruieren – und nicht nur darum abgedroschen Einheit einfordern.

Die Gefahr einer weiteren Polarisierung

Die nun erfolgte Regierungsbildung darf nicht über eine zunehmende Polarisierung der spanischen Bevölkerung hinwegtäuschen. Es bleibt die vage Hoffnung, dass die Werte der transición zur Demokratie, Dialog und Mäßigung, nicht vergessen werden. Die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien werden dies auf die Probe stellen. Der wenig versöhnliche Ton der vergangenen Monate und Jahre mahnt zur Skepsis. Prägen wird Spanien aber vor allem die Polarisierung durch das linke Bündnis UNIDOS PODEMOS und die konservative PP. Die moderaten Kräfte, die sozialdemokratische PSOE und die liberalen CIUDADANOS, werden versuchen der PP Sozialreformen abzuringen. Damit werden sie es aber auch UNIDOS PODEMOS ermöglichen, sie als Komplizen der Konservativen darzustellen. Pablo Iglesias wird bestimmt erneut eine anti-establishment Rhetorik gegen die verkrustete ‘Kaste‘ hervorholen. Populismus äußert sich im europafreundlichen Spanien interessanterweise als linkes Phänomen. Viele der sozialpolitischen Forderungen von PODEMOS sind durchaus nachvollziehbar und wünschenswert. Der Chance, diese in einer progressiven Regierung umzusetzen, haben sie sich jedoch selbst und bewusst verweigert. Es bleibt zu hoffen, dass Sozialdemokraten und Liberale Rajoy Reformen abringen – und dass es Linken und Konservativen nicht gelingt, das Land weiter zu polarisieren.

Martin Valdés-Stauber studierte Soziologie, VWL und Politikwissenschaften in Friedrichshafen, München und Berkeley. Gegenwärtig absolviert er einen Forschungsmaster in Soziologie an der University of Cambridge. Dieser Artikel erschien zuerst am 13. November 2016 im Debatten-Magazin The European.

Autor

Martín Valdés-Stauber studierte Soziologie, VWL und Politikwissenschaften an der Zeppelin Universität, der LMU München sowie an der UC Berkeley. Gegenwärtig beschäftigt er sich im Rahmen seines Forschungsmasters der Soziologie an der Universität Cambridge sowie beim #DialogueOnEurope mit Flucht und Migration.

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